Dziewiećsetdziewiećdziesiatdziewieć

Orte für ein blaues Wunder (VI): Vor der Statue von Papst Johannes Paul II. in Lublin betet es sich einfach besser

Was soll man in Lublin (Polen), wenn man weder Nonne noch Mönch, noch abergläubisch ist? Vor allem Tropfen. In Südostpolen, unweit der Ukraine, ist es im Sommer manchmal subtropisch heiß und sumpfig schwül. Alles, was lebt, schwitzt sich durch den Tag. Die einzigen Lebewesen, die mehr schwitzen als man selbst, sind die Nonnen und Mönche in ihren dunklen Ganzkörperbaumwollgeflechten. Aber die können immerhin 1. das Wunder von Lublin um Hilfe anflehen (die schwarze Madonna; in der Lubliner Kathedrale, die, wie jeder weiß, 1949 aus Ärger über die doofen Russen echte Tränen geweint hat) und 2. vor der Statue von Papst Johannes Paul II. in der Katholischen Universität Schatten finden. Im Schatten von Il Papa betet’s sich gleich besser.

Warum fährt man also trotzdem dorthin? Weil es in Lublin den Park von Lublin gibt. Der heißt Saski. Darin: vor allem Bänke. Man sieht die schön arrangierten Rabatten, die liebevoll geharkten Wege und die 100 Jahre alten Eichen vor lauter Bänken kaum. Auf den Bänken sitzen LublinerInnen zwischen 40 und 80 mit einer besonderen Betonung auf 80. Denn die Studentenstadt ist im Sommer ihrer Jugend beraubt. Übrig bleibt, wer alt ist oder griesgrämig, weil er nicht weg kann.

Macht das wirklich Spaß, polnischen Griesgramen, die zu 15 Prozent arbeitslos sind, beim Nichtstun zuzugucken? Nun, so ein schöner Park kann einem griesgrämigen Lubliner ganz schön die salzige Suppe versüßen. Denn es ist kühl im Saski, die breite Allee Racklawickie mit den vielen Bussen, an der er liegt, ist kaum zu hören, je tiefer man in den Park und damit in Richtung des ehemaligen jüdischen Viertels geht. Es wird immer dunkelgrüner, und die Bänke immer leerer.

Wie viele gehen auf so eine Bank? Auf so einer polnischen Bank haben normalerweise zwei ältere, arbeitslose LublinerInnen und etwa 105 Mücken Platz. Die LublinerInnen fläzen ganz weit nach hinten gelehnt, denn die Bänke haben weit zurückgebogene Rücklehnen. Und die Mücken sitzen auf bzw. hängen an den LublinerInnen und saugen Blut.

Warum sollte man sich trotzdem dort hinsetzen? Weil sich die Bänke alle paar Meter um kleine, runde, von Bäumen gesäumte Plätze gruppieren, Mini-Marktplätzen gleich. Am größten dieser Plätze hat früher mal ein Schwanenehepaar gewohnt. Damals floss noch ein Flüsschen bis in die Kuhle in der Mitte, dort mündete es in einen Mini-See, mit einer Mini-Insel, einem Mini-Schwanenhaus und allem Pipapo. Leider ist kein Wasser mehr im Fluss, die Schwanenhütte ist verlassen und gäbe ein schönes Zuhause für einen Waisenhund.

Macht einen das nicht traurig? Ja, aber es regt auch zum Nachdenken über Sozialismus und öffentliche Orte an und ist immer ein Gesprächsthema, falls sich doch noch mal ein Lubliner unter 80 auf die gleiche Bank verirrt. Man kann sich aber auch auf eine der Bänke setzen, die die hübsche Ansammlung von metallenen Bauzäunen umringen. Hinter den Zäunen ist übrigens nichts. Aber daran steht Lubelskie prżedsiebiorstwo robót inżenieryjnych, und das finde ich auch.

Was macht man im ältesten Park Lublins, leer gesaugt, fast totgeschwitzt, umringt von Menschen, die zu Tisch stòl sagen, zu 999 Dziewiećsetdziewiećdziesiatdziewieć, und sich ständig Wörter wie krzyż und prżyprawy ausdenken?

Lody essen (in Wanilia, Chekolada und Cytrona), Mineralwasser trinken, dessen Name nach Wodka klingt (woda muszynianka) und die Ypsilons in den Wörtern und Namen zählen, die einem begegnen.

Wie viel Punkte gibt das Ypsilon in einem polnischen Scrabblespiel? Genau so viele wie das z.

JENNI ZYLKA