Bayer: Adrenalinpegel steigt

Konzern will in der Lipobay-Krise 4.000 Stellen abbauen. Verbraucherschützer fordern mehr Transparenz und Kontrolle beim Zulassungsverfahren von Medikamenten

BERLIN taz ■ Vorgestern waren es 1.800 Stellen, die der Chemie- und Pharmakonzern Bayer wegen seiner jüngsten Krisen abbauen wollte. Gestern waren es schon 4.000, und möglicherweise noch mehr, sagte ein Unternehmenssprecher. Grund ist der Rückruf des Cholesterinsenkers Lipobay, den Bayer wegen Todesfällen unter den Patienten vom Markt genommen hatte. Inzwischen folgte auch die Pharmafirma Fournier diesem Beispiel und nahm ihren Cholesterinsenker Zenas aus dem Handel, der den gleichen Wirkstoff wie Lipobay enthält. Die EU-Arzneimittelbehörde will nun auch andere cholesterinsenkende Arzneien untersuchen.

Wissenschaftler und Verbraucherschützer forderten gestern Neuregelungen bei der Zulassung von Arzneimitteln. „In den drei Testphasen des Zulassungsverfahrens sind nur wenige tausend Patienten involviert“, erklärte Jutta Krappweis von der Gesellschaft für Arzneimittelanwendungsforschung. Folgerichtig könnten bis zur Zulassung nur ein Bruchteil der Nebenwirkungen bekannt werden. Nach der Zulassung folgt die Beobachtungsphase, in der das Medikament bereits auf dem Markt ist. Die müsse dringend verändert werden. Bisher bekommen Ärzte vom Hersteller Geld dafür, dass sie Nebenwirkungen melden. Der Hersteller selbst wertet diese Meldungen aus. „Das ist kein unabhängiges Verfahren, sondern ein Marketinginstrument“, kritisiert Krappweis. Ihre Forderung: Unabhängige Wissenschaftler müssten Zugang zu den Daten haben.

Auch Thomas Isenberg vom Bundesverband der Verbraucherzentralen fordert mehr unabhängige Kontrollen. „Wenn Nebenwirkungen bekannt werden, müssen Wissenschaftler und Verbraucherschützer Zugang zu den Unterlagen bekommen“, so Isenberg. Der Lipobay-Fall zeige, dass die Information über Probleme nicht bis zu den Ärzten vordringe.

„Es gibt keine unfallfreie Medizin“, erklärte dagegen Dietrich Höffler, Leiter der Abteilung Unerwünschte Arzneimittelwirkung bei der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Die vorhandenen Mechanismen seien sicher und „nicht steigerbar“. Die Unterlagen, die zur Zulassung eines Medikaments eingereicht werden müssten, würden „nahezu einen Lastwagen füllen“. Diese zu prüfen setze höchste Spezialkenntnisse voraus. „Bei aller Ehre: Das kann ein Verbraucherschützer nicht leisten.“ NICK REIMER