Blasen, Globen, Töne

Moderne Software malt Bilder zur Musik, verwaltet auch die größte Plattensammlung – und löscht sie komplett aus unserem Gedächtnis

von STEFAN KUZMANY

Zunächst ist da nur Staunen: Hat er das jetzt schon mal gemacht? Dieses Grün, von links unten in kleinen Kreisen blasengleich hereinblubbernd, herangezoomt und dabei um sich selbst wirbelnd? Und an derselben Stelle beim selben Lied, würde er das jetzt noch mal ganz genauso machen?

Lange kann man der Software „iTunes“ dabei zusehen, was sie mit der Musik macht: Passend zum jeweilig ablaufenden Musikstück generiert das Programm eine sich bewegende Grafik. Zwar wiederholen sich die Muster und die Farben irgendwann, aber nie in ein und derselben Kombination – was auf dem Bildschirm geschieht, ist immer neu.

Früher war Musikkonsum anders: Welche Platte hören wir jetzt, haben wir uns gefragt, wussten es nicht, blätterten durch die Plattencover, erinnerten uns bei Ansicht der weißen Hülle des White Albums plötzlich an den gelungenen Übergang von „Back In The USSR“ zu „Dear Prudence“ und beschlossen, jetzt mal wieder dieses Stück aufzulegen. Dann kam die Compact Disc, war viel kleiner als die Langspielplatte und damit auch weniger als Transportmedium von zusätzlicher Cover Art geeignet. Aber immerhin, es gab sie noch – klein, aber sie war da.

Die Software zum Abspielen von MP3-Dateien macht endgültig Schluss mit der Kunst an der Hülle – es gibt keine Hülle mehr, denn es gibt nichts mehr, was einer Hülle bedürfte. Theoretisch ließe sich sagen, dass haptische Reize in der Musik zunehmend durch optische Reize ergänzt und ersetzt werden.

In der Praxis sieht das anders aus: Obschon Programme wie „iTunes“ dem Musikhören wieder einen visuellen Genuss hinzufügen, ist diese Optik nur technisch einmalig und auf das gerade laufende Musikstück bezogen: Der Computer erzeugt die Bilder aus zufällig aufgerufenen Mustern und Farben, die mit dem Pegelausschlag des Musikstücks modifiziert werden. Diese Art der Zuordnung demonstriert einmal mehr die Beschränktheit der Rechenmaschine: sie kann viel, aber sie versteht nichts. Ob Bach oder Sex Pistols, dem Rechner ist alles eins. Das Platten- oder CD-Cover hingegen ist speziell für die Band und das Album entworfen. Sein künstlerischer Anspruch und Wert variiert in großer Bandbreite, eines ist es aber immer: unverwechselbar.

Früher war das so: ein Freund kommt vorbei und hat das neue Album von „I Am Kloot“ mitgebracht. Sehr schön. Noch schöner: Er erklärt sich bereit, mir die Platte für einige Tage zu überlassen. Da liegt sie also in ihrer Hülle neben der Stereoanlage. Und wer sie sucht, wird sie gleich finden: Das ist die mit den alten Männern vorne drauf, die auf einer Bank sitzen. Heute kommt derselbe Freund, und damit keine Zeit verloren geht, schieben wir die „I Am Kloot“-CD „Natural History“ gleich in den Rechner, der sie ohne Umschweife abspielt, mit bunten Bildern untermalt und im Hintergrund für spätere Verwendung zu MP3-Dateien codiert und abspeichert.

In einem zweiten Arbeitsgang saugt sich der Computer die passenden Titel-Daten aus dem Internet – voilà: „I Am Kloot“ ist der digitalen Musikbibliothek einverleibt. Drei Tage später die brennende Frage: Wie hieß gleich wieder diese tolle Band? Ja, beim Abspielen entzückte der Rechner mit interessanten Farben- und Formenspielen, mit Blasen, Sphären, Tönen ... aber der Name der Band?

Es folgt verzweifeltes Blättern in der Musikdatei. Leider sind da bereits über 1.500 Lieder von mehr als 200 Bands abgespeichert. Ein sinnloses Unterfangen, hier etwas zu suchen.

Es stimmt schon: Stundenlang kann man „iTunes“ zusehen. Bis man völlig weich ist in der Birne.