Musik als Möbel und Tapete

„Sleeper“ heißen im Branchensprech Kunden, die sich als nicht berechenbare Plattenkäufer erweisen. Dabei schlafen viele Hörer gar nicht, sie dämmern nur

Es plätschert, summt und klopft ein bisschen, und mit etwas gutem Willen lassen sich auch Muster erkennen. John Lennon wollte nicht und nannte dergleichen abfällig Muzak, also Kaufhaus- oder Fahrstuhlmusik.

Und doch ist die Plattenreihe etwa der Pariser „Buddha Bar“ inzwischen fast populärer als das Lokal selbst, wo man seine Cocktails traditionell zu sanft dahinrollender Hintergrundmusik kippt. Lounge Music lautet das Stichwort, und sofort schießen vor unserem geistigen Auge gewagt geschwungene Sitzmöbel aus dem Boden, tapeziert sich die Wand wie von selbst in den schillerndsten Farben. „Chillen“ wollen wir hier, einfach gepflegt ausspannen – und dazu gehören eben entspannte Klänge. Keine Musik, die uns zum Tanzen auffordert – sondern einfach nur da ist, um die lästigen Nebengeräusche des Lebens zu übertünchen.

Die Lounge bezeichnete mal die Gesellschaftsräume in Hotels, wo stille Pianisten das hektische Treiben klanglich zu überzuckern halfen. John Cage, der Roald Amundsen des Ambient, führte das Konzept 1952 zu seinem extremsten Pol: In seinem Stück „4’ 33’’“ saß der Musiker 4 Minuten und 33 Sekunden untätig vor dem Klavier, während sich die „Musik“ allmählich aus Randgeräuschen zusammensetzte: das Rauschen des Blutes im Ohr, der Atem des Nachbarn, das Surren der Klimaanlage.

Mit „Music for Airports“ hat Brian Eno schon 1978 den Flughafen als exemplarisch transitorischen Ort mit akustischen Wölkchen gefüllen. Musik, die von nichts anderem spricht als ihrem eigenen Wohlklang. Im Lautsprechergesäusel auf dem Frankfurter Bahnhof hat sich die Idee bis heute überlebt.

23 Jahre später aber sind unsere Wohnungen selbst zu transitorischen Orten geworden, zu bewohnbare Schnittstellen der Informationsflut und Schaltzentralen des urbanen Ich-Managements. Was tun? Schon wieder Tanzen gehen? Geschwätzige Mucke auflegen, die uns von verflossener Liebe erzählt oder, schlimmer noch, uns zu besseren Menschen machen will? Der Erfolg von Wiener Kaffeehausmusikern wie Kruder & Dorfmeister oder diverser „Café del Mar“-Compilations speist sich ja gerade aus dem Grundbedürfnis des modernen Menschen nach einem musikalischen Äquivalent zur Stille.

Elegant soll Lounge Music sein, passend zum Interieur – eine Propagandalüge der Musikindustrie. „To lounge“ heißt nichts anderes als „faulenzen“ und ist nachgerade lebenswichtig. Ob nun „Phaedra“, ein legendär fluffiges Nichts von Tangerine Dream, diesen Zweck erfüllt oder sonambule Pianotupfer von Eric Satie – reine Geschmacksfrage. Wir empfehlen allerdings Aphex Twin mit seinen nur beim ersten, zweiten und zwanzigsten Hören unerträglich kakophonischen Breakbeats: Irgendwann dreht sich das Rad so schnell, dass seine Speichen stillzustehen scheinen. Wenn’s nicht klappt: Einfach das Ohr auf den gletschernden Kühlschrank legen. Diese kühle, majestätische Ruhe! ARNO FRANK