Ein nettes Netzwerk

Das Label „Labels“ ist nicht nur ein Labelverbund, sondern das beste Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation zwischen Indies und Major

von GERRIT BARTELS

Man kann sich mit Christof Ellinghaus selbst in diesen Tagen noch ohne Probleme kurzfristig zu einem Gespräch verabreden. Ein Anruf, der sofort durchgestellt wird, ein kurzer Blick in den Terminkalender am anderen Ende der Leitung, und dann die Zusage: „Morgen, klar, das geht, so zwischen zwölf und eins.“

Erwähnenswert ist das deswegen, weil Ellinghaus sich nicht mehr allein nur um sein Label City Slang kümmert. Sondern seit über einem halben Jahr gleichfalls zuständig für einen Labelverbund mit dem sinnigen Namen „Labels“ ist, auf dem bisher unter anderem Alben von Bands wie Kings Of Convenience, Turin Brakes, Zoot Woman, Calexico oder Ladytron erschienen sind. Zu diesem Verbund gehören englische, französische und amerikanische Indielabels wie Source, We Love You, Wall of Sound oder Grand Royal, und eben auch die beiden deutschen Indielabels Bungalow und City Slang. Sie alle zusammen wiederum bilden als „Labels“ eine Unterabteilung der Major-Company Virgin, die für den Vertrieb der Labels-Acts sorgt und Budgets für Marketing, Aufnahmestudios, Reisen und andere Posten zur Verfügung stellt.

Was die Kooperation von Indiefirmen und Major-Companies anbetrifft, ist dieses Modell nicht nur das neueste, sondern erscheint auf den ersten Blick als das vielversprechendste und einleuchtendste. Lokal casten und aufbauen, global agieren und vermarkten: Die kleinen Labels partizipieren von den größeren Möglichkeiten eines Majors vor allem in Sachen Vertrieb und Marketing innerhalb ganz Europas. Und der Major bekommt im Gegenzug Credibility, kann junge Talente besser sichten und hält sich damit Optionen auf die Zukunft.

Es dauert an diesem Tag keine fünf Minuten, und Christof Ellinghaus hat in seinem Kreuzberger Büro mit zwei Äußerungen die beiden Pole markiert, zwischen denen er sich bei Labels bewegt: „Es geht darum, den Leuten gute Musik näher zu bringen. Dabei kann es nicht das erklärte Ziel sein, mit dieser Art von Musik reich und berühmt zu werden.“ Und dann, fast im selben Atemzug: „Mit einem Konstrukt wie diesem hast du einen Konzern im Rücken, der einen Return sehen will. Am liebsten für jede Mark, die ausgegeben wird, eine Mark fünfzig wieder rein.“

Falsche Sentimentaliäten sind seine Sache nicht. Zu oft hat Ellinghaus als City-Slang-Labelbetreiber erfahren müssen, dass man allein mit Enthusiasmus kein Label ökonomisch erfolgreich führen kann. Als „Labels“-Chef versucht er nun mit demselben Enthusiasmus, Musik von City Slang, von Indielabels wie Grand Royal oder Source unter die Leute zu bringen: „Selbstverständlich ist es ungewohnt für mich, wenn ich plötzlich anderer Leute A&R-Zeugs veröffentlichen muss“, bekennt er, „als ich damals aber am Überlegen war, habe mich zum Beispiel mit dem Betreiber von Source getroffen. Der gab mir drei Alben, die durch die Bank einfach nur gut waren. Dann wieder traf ich mich mit den Franzosen und merkte: Die machen alle Sachen, die unterschreibbar sind, und das war der ausschlaggebende Punkt.“

Die Nachteile, die sein neuer Job mit sich bringt, kennt Ellinghaus allerdings nur zu gut. Doch er begreift die Labels-Gründung als Herausforderung, ja, gar als „kulturellen Auftrag“. Weshalb jeder für ihn nicht ganz so angenehme Aspekt sein doppelt positives Pendant hat und er immer wieder die vielen Vorteile der City-Slang-Labels-Virgin-Verbindung betont: für ihn persönlich, für seine inzwischen auf fünfzehn Leute angewachsene Belegschaft, für die einzelnen Bands, für die beteiligten Labels.

Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass er an seinen City-Slang-Platten nichts mehr verdient und er Angestellter der Virgin GmbH mit einem sicheren Gehalt ist. Im Gegenzug aber bedeutet es für ihn, der zweifacher Familienvater ist, dass das ständige Auf und Ab eines Indie-Labelbetreibers sein Ende hat, dass er nicht mehr bei Flops oder dem Aufwand für eine bestimmte Platte gleich seine Existenz aufs Spiel setzt.

Dann sind da die Meetings, die Ellinghaus jetzt mitmacht. Auf diesen trifft er sich mit den Managern, Direktoren und Zwischenchefs der Virgin-Abteilungen Europas und folgt Gesprächen über spanische Flamenco-Stars, die in Frankreich durchgesetzt werden sollen, über Bands wie Atomic Kitten oder das neue Album von Mariah Carey. Ellinghaus weiß lustige und farbige Geschichten über solche Treffen zu erzählen, doch er schließt solche Schilderungen immer auch in eigener, guter Sache: „Ja, da sitze ich also mit meiner Notwist-CD, sage, dass die auch in Norwegen gut laufen könnte, und alle stimmen mir zu. Abends beim Bier verraten mir manche dann, dass sie auch lieber Calexico als Atomic Kitten hören und bearbeiten würden.“

Auch die Tatsache, dass er jetzt monatlich Zahlen auf den Tisch bekommt und er über viele verschiedene kleinere und größere Budgets verfügt und entscheidet, dafür aber auch Vorabpläne und Kalkulationen erstellen muss, sieht Ellinghaus nicht als Belastung. Glaubt er doch zu wissen, dass in allen Labels-Ländern Leute sitzen, „die wollen, dass Labels funktioniert: Indierocker, die alle wollen, dass dieses geschwungene L ein Qualitätssiegel wird“. Und wenn die EMI, zu der die Virgin gehört, irgendwann irgendwo in Los Angeles oder New York beschließt, sich zu verschlanken?

„Okay, dann mache ich mit City Slang wieder allein weiter. Oder was ganz anderes.“ Man glaubt Ellinghaus, dass er an Labels glaubt. Und man glaubt ihm, dass Labels bei ihm in den besten Händen ist und auch er dabei das Beste für sich herausholen wird. Zu lange kennt er das Geschäft mit der Musik, als dass ihm jemand noch schlau kommen könnte.

Anderthalb vergebliche Jahre, so erzählt er, hätte er mit einer noch größeren Plattenfirma als Virgin verhandelt und am Ende einen vierundvierzigseitigen Vertrag in den Händen gehabt, den zu unterschreiben ihm seine Anwälte dann abrieten. „Am Ende kommt nicht so viel bei rum wie erwartet, und dann gucken die kleinen Labels in die Röhre.“ Bei „Labels“, so Ellinghaus, solle dafür gesorgt werden, dass die „Stars von übermorgen“ über einen langen Atem verfügen, dass sie „organisch wachsen“ können. Und wenn es nicht gerade „Randgruppenbeschallung“ sei, könnten viele Bands größer werden als bisher.

Sein Lieblingsbeispiel dafür: Die Tex-Mex-Rocker Calexico, die in den Charts waren und bisher Alben im sechsstelligen Bereich verkauft haben. Aber auch andere Labels-Acts wie Kings Of Convenience oder Turin Brakes laufen gut oder sind, wie Zoot Woman, zumindest in den Medien wie selten nur Bands dieser Größenordnung.

Da scheint sich was zu rechnen auch für einen, der von sich behauptet, immer viel lieber mit dem Herzen als mit dem Kopf dabei zu sein; und da gibt es noch andere Perspektiven: Mit dem englischen Label Easy!Tiger und dem deutschen HipHop-Label führt Ellinghaus seinem Verbund zwei Labels zu, die bisher noch kein Album veröffentlicht haben, die er zusammen mit den jeweiligen Leuten aufbaut, weil er davon überzeugt ist, dass sie gut sind, aber auch profitabel.

Am Ende, Ellinghaus ist eben Fan und Profi zugleich, entlässt er einen nicht, ohne noch einmal vom neuen Notwist-Album zu schwärmen, das im Januar nächsten Jahres bei Labels erscheint: „Das ist so große Klasse, so gigantisch, so ein Füllhorn an Ideen, Atmosphären und tollen Songs. Dieses Album ist Gott.“ Dann erhebt er sich und erklärt, fast entschuldigend, sich jetzt um eine Münchener Hotelrechnung von Stereo Total kümmern zu müssen.