frankie goes to deadmonton
: Kanada hakt die WM ab und freut sich auf den Puck

Is Anybody Out There

Der Deutsche an sich? Nun ja, ein bisschen seltsam ist er bisweilen schon, zumindest hier in Edmonton. Gewinnt zum Beispiel Gold und Bronze mit dem Diskus – und schüttelt sich bei der Siegerehrung noch nicht einmal die Hand. „Ich hasse ihn und er hasst mich. In Deutschland weiß das jeder“, gibt der Deutsche stattdessen bekannt vor versammelter Weltpresse, die kopfschüttelnd von dannen zieht, wahrscheinlich nur noch einen Gedanken im Kopf kreisend: Armes Deutschland.

Dabei ist Deutschland gar nicht so arm, sondern reich, zumindest an 800-Meter-Läufern. Zum Aufschreiben: Rudolf Harbig, Willi Wülbeck, Nils Schumann. Das ist eine beachtlich lange Tradition für ein Land, das sich für gewöhnlich seiner Dichter und Denker rühmt. Und sie muss hier in Edmonton um einiges verlängert werden: Joel Kruse, Carsten Harms, Frank Schober, Frank Wechsel, Achim Dreis, alles vorzügliche 800-Meter-Läufer, wie am Freitagvormittag zu sehen war. Da nämlich fand im großen Commonwealth Stadium zu Edmonton ein 800-Meter-Rennen eigens für die Medien statt, und natürlich wurde es dominiert von – Deutschen. Schade eigentlich nur, dass es mit dem Sieg wieder nicht geklappt hat, der Spanier Sergio Heredia von La Vanguardia hat sich unverschämterweise Gold geholt. Andererseits muss natürlich erwähnt werden, dass Deutschlands Bester erst gar nicht am Start war: Wolf-Dieter Poschmann vom ZDF Mainz, der große Poschi, hatte im letzten Moment passen müssen, angeblich weil er sich einen Stich zugezogen hat, was leicht passieren kann, wenn man den ganzen Tag mit nacktem Oberkörper in der prallen Sonne rumlungert auf der Pressetribüne.

Dort blieb ein Platz in den letzten WM-Tagen leer: Robert Philip vom Daily Telegraph weilt seit Donnerstag nicht mehr unter uns. Nein, nein, keine Sorge, er ist nicht prinzipiell dahingeschieden, sondern von der Heimatredaktion in London nur wegbeordert worden aus Edmonton. Was vielleicht auch besser so war, denn Mister Philip war zuletzt nicht mehr gut gelitten hier, vor allem von den Eingeborenen. Es war ja aber auch nicht sonderlich nett, was der Brite geschrieben hatte, „Deadmonton“ hat er die Stadt der Champions, wie sich Edmonton bisweilen großmütig nennt, in einem seiner spitzfedrigen Artikel genannt, weil die Hauptstadt Albertas manchmal in der Tat etwas schlafmützig, um nicht zu schreiben, tot daherkommt und gar nicht so, wie man es von einer WM-Stadt eigentlich erwartet. Das schmerzt den gemeinen Edmontonian natürlich, weil er stolz ist auf seine Heimat und sie nicht gerne besudeln lässt von einem wahrscheinlich auch noch aristokratischen Schnösel aus einem Land, das den Rinderwahnsinn erfunden hat und immer noch ans Märchen vom König und der Königin glaubt, dafür aber noch nicht einmal den Name Gretzky richtig schreiben kann. Dazu muss man wissen, dass dieser Gretzky, Vorname Wayne, früher einmal ein ganz passabler Eishockeyspieler war – in etwa so gut wie unser Kaiser Franz im Fußball – und hier in Kanada als Heiliger verehrt wird, als Eisheiliger quasi. Sogar einen Drive haben sie eigens nach ihm benannt, den Wayne Gretzky Drive, eine breite, dreispurige Straße gleich neben dem Coliseum, der Heimstatt der Edmonton Oilers, mit denen Gretzky fünf Mal den Stanley Cup gewonnen hat, eine ziemlich hässliche, aber doch bedeutende Trophäe im Eishockey. Dass Robert Philip, der Britenschnösel, also Gretzkys Namen falsch geschrieben hat, nämlich am Ende mit i anstelle des y, werden sie ihm hier nie verzeihen. Gotteslästerung geziemt sich einfach nicht.

Ungebührlich ist allerdings auch, was die Mannschaft der Gastgeber bei den Wettkämpfen bisher so zuwege gebracht hat: Team Canada hat es tatsächlich geschafft, bis einen Tag vor WM-Ende noch keine Medaille zu gewinnen, nicht eine einzige, was ein ziemliches Kunststück ist und von keiner WM-Gastgebernation jemals zuvor erreicht wurde. Schon deswegen ist es vielleicht ganz gut, dass Track and Field, wie die Leichtathletik in Kanada heißt, nicht ganz so ernst genommen wird, wie leicht könnten sonst Minderwertigkeitskomplexe zurückbleiben. So aber hat man sich mit der Pleite längst abgefunden und die WM einfach abgehakt, noch während sie lief.

„Die Show ist vorbei“, hat die Tageszeitung The Globe and Mail schon vor dem Schlusswochenende verkündet – und das ganze kanadische Volk dazu aufgefordert, das zu tun, was es am besten kann: „Lasst uns zum wahren Sport zurückkehren: Packt den Puck aus!“

FRANK KETTERER