Talfahrt in China

Die Aktienkurse sinken um bis zu 40 Prozent. Börsenskandale verunsichern die Anleger zusätzlich

PEKING taz ■ Nach jahrelangen Höhenflügen sacken Chinas Aktienkurse derzeit steil ab. Die so genannten A-Aktien, die nur von einheimischen Investoren in der chinesischen Währung, Renminbi, gehandelt werden können, verloren in den letzten Wochen durchschnittlich rund 15 Prozent. Noch tiefer stürzten die B-Aktien, die von In- und Ausländern in Devisen gekauft werden dürfen. Sie büßten sogar fast 40 Prozent ein. Damit verschwanden nach Angaben des Asian Wall Street Journal rund 180 Milliarden Mark von den Wertpapiermärkten. „Es scheint, als sei der zwei Jahre andauernde Aufstieg vorbei, nun ist wohl der Bär gekommen“, sagt Dai Ming vom chinesischen Wertpapierhaus Citic Securities.

In diese Situation fällt Chinas jüngster Börsenskandal, der Rufe nach strengerer Aufsicht lauter werden lässt. Als schwarzes Schaf entpuppte sich das bis dahin hoch gehandelte Unternehmen Guangxia Industry, das seine Investoren und Aktionäre, wie sich jetzt herausstellte, mit grob manipulierten Gewinndaten betrogen und damit einen Zuwachs der Aktienkurse um 440 Prozent erzielt hat.

Erst nachdem die Pekinger Finanzzeitschrift Caijing die Affäre Anfang des Monats aufdeckte, waren die Mitarbeiter der Wertpapieraufsichtsbehörde CSRC aufgewacht. Am Freitag suspendierte die Behörde den Handel mit Guangxia-Aktien für 30 Tage. Im Mittelpunkt des Skandals steht einTochterunternehmen, das chinesische Kräuter und Medizin exportiert. Wie Caijing herausfand, hatte Guangxia im vergangenen Jahr nicht etwa, wie behauptet, über 160 Millionen Mark Exportgewinne gemacht, sondern nur knapp 70.000 Mark. Guangxi warb auch mit Kontakten zu vermeintlich finanzkräftigen ausländischen Partnern, wie der deutschen „160-jährigen Traditionsfirma“ Fidelity Trading. Mit ihr habe das Unternehmen einen dreijährigen Exportvertrag über 520 Millionen Mark jährlich abgeschlossen, hieß es. Auch diese Informationen scheinen nicht zu stimmen. Guangxia entschuldigte sich inzwischen bei ihren Anlegern: „Der Vorstand empfindet tiefen Schmerz über die Unregelmäßigkeiten“, ließ das Unternehmen wissen.“

Die Guangxia-Affäre wirft ein Schlaglicht auf die von vielen Beobachtern seit langem beklagte Unfähigkeit der personell und finanziell schlecht ausgestatteten Aufsichtsbehörde, die an den Börsen in Schanghai und Schenzhen notierten 1.100 Firmen zu überwachen. Die CSRC hatte in den vergangenen Monaten eine Reihe neuer Bestimmungen erlassen, nach denen die Firmen künftig häufiger als bisher Geschäftsberichte veröffentlichen müssen. Außerdem dürfen Aktien von Firmen, die drei Jahre hintereinander rote Zahlen schrieben, nicht mehr an der Börse gehandelt werden. Dennoch griffen die Aufseher bislang selten energisch durch. Im vergangenen Monat kritisierte deshalb ein Untersuchungsausschuss des Nationalen Volkskongresses, Pekings Scheinparlament, die CRSC-Kontrolleure scharf. Ausländische Fachleute warnten zudem wiederholt vor einer zu großen Nähe der Überwacher zum korrupten Finanzsystem. Zur allgemeinen Verunsicherung trägt auch die Ankündigung der Zentralbank bei, sie werde gegen vier chinesische Geschäftsbanken ermitteln. Die Geldinstitute sollen illegal 510 Millionen Renminbi (140 Millionen Mark) auf die Aktienmärkte geschleust haben. JUTTA LIETSCH