Auf der Suche nach dem Doktor

aus Foča ERICH RATHFELDER

Wenn ihre Namen fallen, dann führt dies bei den Offizieren der internationalen Friedenstruppen in Bosnien und Herzegowina meist zu betretenem Schweigen. Die Frage nach dem Aufenthaltsort der meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien, Radovan Karadžić und Ratko Mladić, wird mit einem Achselzucken beantwortet. Immerhin gibt man jetzt in Sarajevo zu, dass nach der Auslieferung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević an das UN-Tribunal in Den Haag der Druck, die beiden festzusetzen, gewachsen ist.

Jetzt hat ein hoher Offizier der internationalen SFOR-Friedenstruppe den Vorhang etwas geöffnet. „Die Amerikaner und die Briten wissen sehr genau, wo sich Karadžić aufhält,“ erklärte der Offizier, der natürlich seinen Namen nicht genannt haben will. Spezialeinheiten seien bereit, einen Zugriff zu wagen, wollten aber abwarten, bis man beide gleichzeitig verhaften kann. Wo aber der Aufenthaltsort der beiden ist, das verriet der Offizier nicht.

Lange Zeit haben die internationalen Truppen in Bosnien und Herzegowina gezögert, auf Kriegsverbrecherjagd zu gehen. Noch 1996, also ein Jahr nach Kriegsende, ließ die SFOR Karadžić und Mladić unbehelligt durch Kontrollstellen der internationalen Truppen fahren. Vor allem die US-Army scheute den Konflikt mit der serbischen Bevölkerung. Der damalige Kommandeur der US-Truppen in Bosnien, General Leighton Smith, begründete die zögernde Haltung damit, dass Karadžić von schwer bewaffneten Leibwächtern umgeben sei, eine Verhaftungsaktion also auch Todesopfer unter den SFOR-Soldaten fordern könne.

Diese Haltung änderte sich erst nach einer Intervention des US-Diplomaten Richard Holbrooke, der die SFOR in die Pflicht nahm. Britische Spezialeinheiten reagierten: Im Sommer 1997 nahmen sie nach einem Schusswechsel erstmals mutmaßliche Kriegsverbrecher in der westbosnischen Stadt Prijedor fest. Weitere Aktionen, auch blutige, folgten. Doch im Falle Karadžić und Mladić passierte nichts. Undichte Stellen in den militärischen Apparaten trugen ihr Teil dazu bei. In Erinnerung bliebt der französische Verbindungsoffizier Hervé Gourmelon, der 1997 Karadžić vor einer drohenden Verhaftung warnte und somit eine schon im Detail geplante Aktion verhinderte.

Die Frage, warum die Nato nicht in der Lage sein sollte, die beiden serbischen Extremisten ausfindig zu machen, ist bisher nur unzureichend beantwortet worden. Vermutet wurde, dass es auch innerhalb der internationalen Gemeinschaft Interessen gibt, die beiden von Den Haag fernzuhalten. Sie könnten dort ihr Wissen über ausländische Politiker und UN-Funktionäre auspacken, die sich während des Kriegs bei den Serben anbiederten. Glaubt man den Informationen des hohen SFOR-Offiziers, so könnte sich diese Haltung nun geändert haben.

Der Aufenthaltsort von Ratko Mladić, des ehemaligen Generalstabschefs der Armee der Republika Srpska in Bosnien, war noch vor Jahresfrist leicht auszumachen. Nach dem Krieg ging er nach Belgrad, lebte dort unter einer festen Adresse. Erst nach dem Sturz Milošević’ im Dezember 2000 verließ er die Stadt und soll nach Bosnien zurückgekehrt sein. Offiziere der muslimisch dominierten Bosnischen Armee in Sarajevo vermuten, Mladić habe sich in sein ehemaliges Befehlszentrum in Han Pijesak zurückgezogen. Dort, kaum 40 km von Sarajevo entfernt, hatte der Staat Jugoslawien in den sechziger Jahren eine atombombensichere Befehlszentrale geschaffen. Bisher ist es den internationalen Truppen nicht gelungen, die gesamte Anlage zu inspizieren.

Die Spuren von Radovan Karadžić dagegen führen in eine andere Region. Immer öfter tauchen Gerüchte auf, der ehemalige politische Führer der bosnischen Serben, der „Doktor“, wie er respektvoll von vielen Serben in Bosnien genannt wird, sei öffentlich gesehen worden. Voriges Jahr, so berichteten lokale Medien, sei er im serbisch kontrollierten Vorort Sarajevos aufgetaucht, dann wieder bei einer Beerdigung in Ostbosnien. Im Februar 2001 soll er während der Beisetzung eines serbischen nationalen Dichters kahl geschoren im Kleide eines orthodoxen Priesters gesehen worden sein. Die in Sarajevo erscheinende Wochenzeitung Slobodna Bosna will für die schützende Rolle der orthodoxen Kirche eindeutige Beweise gefunden haben. In Wirklichkeit jedoch gründet sich ihre Recherche auf Aussagen aus zweiter Hand. Kein Zeuge hat mit Karadžić persönlich gesprochen. Wahrscheinlich erscheint lediglich, dass der gebürtige Montenegriner sich im Grenzgebiet zwischen Ostbosnien und Montenegro eine sichere Rückzugsmöglichkeit geschaffen hat. Foča heißt die Stadt, die im Zentrum der Karadžić-Suche steht. 1992 vertrieben serbische Truppen unter dem Kommando von Mladić mehr als die Hälfte der 42.000 Einwohner der ehemals von Muslimen und Serben bewohnten Gemeinde. 1.600 Menschen wurden damals nachweislich ermordet. In den Bergen, die vom Tal der Drina aus sich bis nach Montenegro erstrecken, wohnen vor allem Serben. Und hier hat es am 13. Juli einen Zwischenfall gegeben, der auf die Anwesenheit Karadžić schließen lässt. Nach einem Manöver von SFOR-Truppen sei eine Spezialeinheit der Nato mit Karadžić-Bodyguards in Berührung gekommen. Es sei geschossen worden, die britische Spezialeinheit SAS hätte 10 Tote zu beklagen gehabt, berichtete die britische Zeitung Observer.

In Filipici, einem Ort rund sechs Kilometer von Foca entfernt, ist eine Kompanie deutscher Sfor-Soldaten stationiert. Die Region liegt damit im Zuständigkeitsbereich der deutschen Kompanie. Doch Oberleutnant Michael Grotkopp verneint entschieden, dass Soldaten seiner Einheit in einen derartigen Vorfall verwickelt gewesen seien. Man wisse in Filipovici weder über die Anwesenheit von Spezialtruppen der Briten etwas, und schon gar nichts über Tote. „Alles Gerüchte.“ Dass die britische SAS oder auch das deutsche „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) hier operierten, könne er nicht bestätigen.

Die ungeteerte Straße zum Dorf Zavait, wo es zu den Schusswechseln gekommen sein soll, führt durch einen dichten Wald. In einem Dorfladen haben sich einige Bewohner versammelt. Unwillig nur wollen sie Auskunft geben. Doch sie geben an, dass es hier am 13. Juli Manöver der SFOR gegeben hat. Die Schießerei mit Karadžić bestätigen wollen sie jedoch nicht. „Uns verlockt nicht das Geld, das könnt ihr behalten,“ sagt Dragan. Er spielt damit auf die 5 Millionen Dollar an, die von den USA für Hinweise bereitgestellt wurden, die zur Verhaftung des Gesuchten führen. „Nicht einmal für eine Milliarde würden wir unseren Doktor verraten.“ Die Bauern hier zeigen sich als bedingungslose Anhänger Karadžić’ und bedauern, dass er nicht mehr am Ruder ist. Von Zavait führt die Straße in den 30 km entfernten Ort Celebici. Von hier aus ist es leicht, nach Montenegro überzuwechseln. Und dorthin dürfen SFOR-Truppen Karadzic nicht mehr folgen.

Wie wahrscheinlich aber ist es, dass die Nato- und SFOR-Spezialisten über den Auftenthaltsort Karadžić’ informiert sind? Seine Ehefrau wohnt nach wie vor in Pale bei Sarajevo, und immer noch ist sie Chefin des Roten Kreuzes der Repbulika Srpska. Mutter, Bruder und andere Angehörige der Familie wohnen in Montenegro, in der Stadt Niksić unterhält die Familie ein Fuhrunternehmen. Sollte es da nicht gelungen sein, die sicherlich erfolgten Kontaktaufnahmen zu registrieren und zurückzuverfolgen? Doch nach wie vor scheuen die Internationalen Truppen das Risiko. „Man setzt jetzt darauf, dass die Republika Srpska die beiden selbst verhaftet,“ sagt Lutvija Sukalo, Mitglied des Gemeinderates von Foca. Drei bosnisch-muslimische Generäle seien von der bosnischen Polizei verhaftet worden. „Die SFOR und Nato hoffen nun, die Serben folgen diesem Beispiel und verhafteten Karadžić selbst.“ Die Republika Srpska sei bankrott und brauche dringend Geld. Das sei der Hebel, die Autoritäten in Pale unter Druck zu setzen.

Realistisch scheint dies nicht. Die Regierung stützt sich auf die Serbische Demokratische Partei, der Karadžić lange Zeit vorstand. Serbische Polizisten müssten bei einer Verhaftung auf Serben schießen. Es scheint, als müssten die internationalen Truppen doch ihre Spezialeinheiten schicken.