mauergedenken
: Die Mauer im Kopf

Die Mauer ist weg. Was vor 40 Jahren begann, endete am 9. November 1989. Die wahrlich unselige Betonwand wurde zu Fall gebracht, ihre Teile hat man zerstückelt, verschreddert oder gar verkauft. An den wenigen Orten der Stadt, wo ihre Rudimente noch existieren, haben Denkmalpfleger das Bauwerk von Ulbricht und seinem Vollstrecker Honecker unter Schutz gestellt – als Mahnmal deutsch-deutscher Geschichte, zur Erinnerung und zugleich Chiffre einer Überwindung der Teilung. Davon hat gestern beinahe niemand gesprochen, und wenn doch, haben er oder sie es anders gemeint.

Kommentar von ROLF R. LAUTENSCHLÄGER

Am 40. Gedenktag zur Errichtung der Mauer ist fast auf beschämende Weise deutlich geworden, dass die geschichtspolitische Instrumentalisierung der Mauer nur das Tagesgeschäft im Sinn hatte. Als gäbe es nichts Wichtigeres zu tun, haben CDU, SPD und PDS den Bau der Mauer vor vierzig Jahren als Wahlkampfthema missbraucht, um jede auf ihre Weise auf den politischen Gegner einzudreschen: Frank Steffel auf die PDS, die in der Kontinuität der Mauerbauer SED stehe, und auf die SPD, die als Steigbügelhalter des Salonkommunisten Gregor Gysi fungiere; die SPD auf die CDU und ihren sorglosen Umgang mit ihrer Mauerflöten-Blockpartei; die PDS auf alle, ist sie sich doch für eine Entschuldigung zu fein.

Geschenkt: Man könnte die Wahlkampfshow von „John F.“ Steffel am Checkpoint Charlie – wo er sich nicht zu schade war, Brechts Satz von „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ zu zitieren –, oder jene von Klaus Wowereit an der Bernauer Straße getrost vergessen, wären nicht alle Reden im Ton des Kalten Krieges über die Bühne gegangen. Statt aus dem Bau der Mauer und ihrer propagandistischen Legitimierung die Lehre für das eigene politische Handeln zu ziehen, haben die Berufsbetroffenen das Gegenteil getan. Es wurde gemobbt oder geheuchelt und mit Schuldzuweisungen um sich geworfen, als wären wir noch einmal im Jahr des Mauerbaus 1961. Dass zwischen 1989 und 2001 ganze 11 Jahre der historischen Klarsicht und der wissenschaftlichen Bewertung lagen, hat nicht interessiert. Die Chance wurde vertan zum 13. August 2001.

Allem Anschein nach lebt es sich mit der Mauer im Kopf doch einfacher als ohne sie. Wie weiland im Mai 1985, zum 40. Jahrestag der Kapitulation von 1945, wo über die „Befreiung“ oder „Niederlage“ Deutschlands im Zweiten Weltkrieg gestritten wurde, stand auch beim Gedenken an die Mauer ihre geschichtspolitische Dimension als parteipolitische Verfügungsmasse im Vordergrund.

Es ist kein Geheimnis, dass beim Thema Erinnerungskultur die Deutschen „patzen“, eher verdrängen und spalten – selbst wenn gar keine Mauer mehr da ist.