Blair wirft den Euro in den Ring


von DOMINIC JOHNSON

Kurz nach den Parlamentswahlen vom 7. Juni geschah in Großbritannien etwas Merkwürdiges. Das Pfund sackte auf den Währungsmärkten ab; Gewerkschaften und Labour-Linke kündigten an, ab jetzt gegen Tony Blair Front zu machen; Kommentatoren orakelten über eine kommende Rezession. Die Stabilität von New Labour wich plötzlich einer Zukunftsangst, die an die 70er-Jahre erinnerte. Der Grund? Spekulationen, dass nach Labours haushohem Wahlsieg ein britischer Beitritt zum Euro in greifbare Nähe gerückt sei.

Allen Prognosen zum Trotz ist die britische Wirtschaft in den letzten Jahren ohne Euro gut gefahren. Der Anstieg des Pfundkurses gegenüber der EU-Währung bedeutete keine Schwächung der britischen Exportposition, denn gegenüber dem wichtigeren US-Dollar blieb das Pfund, anders als der Euro, außerordentlich stabil. Die britischen Exporte in die Eurozone stiegen von unter 22 Milliarden Pfund im ersten Quartal 1999 auf knapp 27 Milliarden im ersten Quartal 2001. Die ausländischen Direktinvestionen in Großbritannien wuchsen zwischen 1999/2000 und 2000/2001 erneut um 15 Prozent und erreichten einen neuen Rekord. Die Londoner City, einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt, hat von ihrer einzigartigen Stellung – außerhalb der Eurozone, aber innerhalb der EU – eigenen Einschätzungen zufolge profitiert. In ihrem jüngsten Wirtschaftsbericht warnte die britische Zentralbank (Bank of England) Ende letzter Woche jedoch, die stockende Konjuktur in Deutschland bedrohe die britischen Exportaussichten und damit das Wirtschaftswachstum.

Mit anderen Worten: Europa ist eine Gefahr – nicht wegen seiner Stärke, sondern wegen seiner Schwäche. Die logische Reaktion darauf wäre, Großbritannien noch effektiver vor dem Kontinent zu schützen. Dies spricht gegen eine Annäherung zum Euro und für die bisherige Labour-Politik. Die offizielle britische Haltung zum Euro ist seit Labours erstem Wahlsieg 1997 unverändert: Es gibt keine politischen Gründe gegen einen Beitritt; eine Entscheidung darüber muss allein nach ökonomischen Kriterien gefällt werden. Fünf solche Kriterien benannte Finanzminister Gordon Brown im Jahr 1997 (siehe Kasten links).

Wenn das Finanzministerium zum Schluss kommt, diese Kriterien seien erfüllt, kann es eine Beitrittsempfehlung abgeben. Dann kann die Regierung eine Volksabstimmung organisieren. Auch ein Ja dabei würde aber nicht bedeuten, dass der Euro sofort kommt: Laut Maastricht-Vertrag müsste das Pfund erst noch zwei Jahre an den Euro gebunden werden – so wie vor 1992 im Europäischen Währungssystem EWS. Damals löste die Wechselkursbindung eine tiefe Rezession aus, die erst nach dem Austritt des Pfundes aus dem EWS 1992 zu Ende ging.

Die Hürden für den Euro sind also nicht nur hoch, sondern auch zahlreich. In allen Umfragen zum Thema sprachen sich die Briten bisher gegen den Euro aus, mit steigender Tendenz. Da Labour versprochen hat, die Einführung des Euro von ökonomischen Krieterien abhängig zu machen, ist so eine einfacher zu begründende politische Entscheidung für die Gemeinschaftswährung ausgeschlossen.

Ob der Euro kommt, hängt somit in erster Linie von der britischen Zentralbank sowie Finanzminister Gordon Brown ab. Beide gelten als tendenzielle Euroskeptiker. Der einst prominenteste Eurobefürworter im britischen Kabinett, Außenminister Robin Cook, wurde nach der Wahl im Juni gegen seinen Willen an die Labour-Fraktionsspitze versetzt. Cooks Nachfolger, der frühere Innenminister Jack Straw, behandelt das Thema nicht mit besonderer Priorität. Schließlich sei der Euro ein ökonomisches Problem, kein politisches.

In Wirklichkeit ist der Euro in Großbritannien natürlich hochpolitisch – aber es geht dabei nicht um die Sache selbst. Als die Financial Times Ende Juli berichtete, Brown und Blair hätten beschlossen, schon im Frühjahr 2002 über die Erfüllung der Euro-Beitrittskriterien zu entscheiden und die Volksabstimmung ein halbes Jahr später anzusetzen, soll Brown an die Decke gegangen sein. Der Bericht basierte allzu offensichtlich auf Gedankenspielen im Umfeld des Premierministers. Blair und Brown sind seit Blairs Wahl zum Labour-Parteiführer 1994 Rivalen, und ihre unmittelbaren Mitarbeiter können sich gegenseitig nicht ausstehen. Immer wieder, wenn das Blair-Lager laut über den Euro nachdenkt, schürt die andere Ecke Gerüchte über einen möglichen Rücktritt Blairs zugunsten des Finanzministers anlässlich der nächsten Wahl 2005 oder 2006.

Blair geht, der Euro kommt: das sind die beiden Schreckgespenster der britischen politischen Debatte, die ebenso gerne ins Feld geführt werden, wie sie einer realen Grundlage entbehren. Dass der Euro zum Londoner Spielball zu verkommten droht und damit einen ähnlichen Status in der politischen Kultur bekäme wie das Sexleben von Prinz Charles oder der Millennium Dome, macht es unwahrscheinlich, dass die Briten ihn jemals ernst nehmen könnten. Stärkstes Indiz dafür ist die Wiederauferstehung von Kenneth Clarke. Der letzte Finanzminister der Konservativen, größter Eurofan seiner fast einhellig euroskeptischen Partei, war zwischen 1997 und 2001 von der politischen Bühne verschwunden. Nun hat die Parlamentsfraktion der Tories ihn als Spitzenreiter ins Rennen um ihren nächsten Parteichef gehen lassen, über den die Basis in der ersten Septemberhälfte abstimmen wird.

Clarkes geisterhafte Wiederkehr ist kein Indiz für wachsende Europhilie bei seiner Partei, sondern für zunehmende Euro-Irrelevanz. Jeder Konservative weiß, dass es Irrsinn wäre, wenn bei einer Euro-Volksabstimmung ihr Führer gemeinsam mit Blair und dem Liberalenchef Kennedy für die Gemeinschaftswährung werben würde, während die euroskeptische Mehrheitsmeinung der Bevölkerung nur noch von Splittergruppen vertreten wäre. Ein Sieg Clarkes im September wäre also ein Zeichen dafür, dass selbst die Tories nicht an eine schnelle Volksabstimmung glauben.

Da aber auch jetzt schon brisante Entscheidungen anstehen, zum Beispiel die Ratifizierung der Nizza-Verträge im Parlament, und Clarke vermutlich als Tory-Chef die bisherige Anti-Euro- und Anti-Nizza-Position seiner Partei zu revidieren versuchen würde, könnten die Konservativen doch noch auf Nummer Sicher gehen und den Gegenkandidaten Iain Duncan Smith wählen. Der gestandene Soldat und Eurogegner, Anführer der Anti-Maastricht-Minderheit in der konservativen Parlamentsfraktion 1993 , hat alles an Patriotismus, Gravitas und Rückwärtsgewandtheit, was ein aufrechter Tory braucht. In den parteiinternen Umfragen liegt er vorn.

Für die Labourpartei ist der Wahlkampf der Konservativen ein gefundenes Fressen, lenkt er doch von den eigenen Problemen ab. Möglicherweise ist dies der eigentliche Grund dafür, dass die Regierung unter Tony Blair sich nie für oder gegen den Euro festlegt. Solange das Thema „Einführung der Gemeinschaftswährung“ offen bleibt, kann sich keine andere politische Partei Großbritanniens dazu eindeutig positionieren. Denn so würde sie ihre eigene Position im Wettkampf mit Labour schwächen. Der Euro ist für Blair ein perfektes Instrument zur Verunsicherung der Opposition – solange es ihn nicht gibt.