Nato-Präsenz soll Ruhe bringen

Ist die Nato in Mazedonien, wird es bei einem Bruch des Waffenstillstands nicht so einfach sein, der jeweils anderen Seite dafür die Schuld zuzuschieben

von ERICH RATHFELDER

Mit dem Friedensabkommen in Mazedonien ist ein Schritt in die richtige Richtung gemacht worden, mehr nicht. So lautet der Tenor bei den in Skopje versammelten Diplomaten. Aber auch in der Bevölkerung. Während sich die albanische Bevölkerung von dem Einrücken von Nato-Truppen mehr Sicherheit vor den Übergriffen der mazedonischen Polizei erhofft, setzt ein Teil der slawisch-mazedonischen Bevölkerung darauf, dass die Nato bei der Entwaffnung der albanischen Rebellen der UÇK erfolgreich ist. Andere in der slawischen Volksgruppe lehnen indes ein ausländisches Engagement in Mazedonien ab.

Aber ein Abkommen schafft Fakten. Die Dezentralisierung des Staates, die Reform der Polizei, Albanisch als offizielle Sprache in allen Gebieten mit einem albanischen Bevölkerungsanteil von 20 Prozent, die Universitätsreform, die Amnestie für die Rebellen und vieles mehr sind jetzt festgeschrieben (siehe Kasten links). Und wenn es unterschrieben ist, stehen die Unterzeichner unter dem Druck, das Abkommen auch umzusetzen. Sind Nato-Truppen unter dem jetzt verhandelten Mandat erst einmal im Lande, wird es bei einem Bruch des Waffenstillstandes nicht mehr so einfach sein, propagandistisch der anderen Seite die Schuld in die Schuhe zu schieben, wie dies in den letzten Wochen oftmals geschehen ist. Denn Beobachter werden die Lage ständig überwachen und alle Vorfälle untersuchen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wird diese Aufgabe übernehmen.

Wichtig ist also, dass mit dem Einrücken der Nato-Truppen die Lage erst einmal beruhigt wird. So jedenfalls schätzt Botschafter Hansjörg Eiff, der für die Nato am Verhandlungstisch in Ohrid saß, die Lage ein. Der erfahrene deutsche Diplomat, der in den Achtzigerjahren Botschafter in Belgrad war und während des Krieges in Kroatien, Bosnien und Kosovo hohe Funktionen in internationalen Organisationen bekleidete, sieht jedoch auch die Gefahren, die weiterhin bestehen bleiben. „Kritisch wird die Lage, wenn die mazedonische Polizei wieder in das jetzt von der UÇK kontrollierte Gebiet vorrücken wird, um es in Besitz zu nehmen.“ Übergriffe müssten dann verhindert werden, und wer könne dafür garantieren, dass abtrünnige UÇK-Leute nicht weiterhin mit der Waffe kämpfen werden?

„Die Führung der UÇK hat sich als gemäßigt gezeigt und wird das Abkommen akzeptieren“, sagt der Botschafter, der im Vorfeld der Verhandlungen persönlich mit den Rebellen gesprochen hat, um sie auf die Linie des Abkommens zu verpflichten. Die UÇK saß in Ohrid zwar nicht physisch, jedoch vermittelt am Verhandlungstisch. Denn die Verhandlungsdelegationen der beiden albanischen politischen Parteien hatten ständig Kontakt zu der UÇK-Führungsspitze. Ali Ahmeti, der Sprecher der „Nationalen Befreiungsorganisation“ in Mazedonien, der schon Mitbegründer der UÇK im Kosovo war und zum Urgestein der albanischen Widerstandsbewegung seit 1991 gehört, war über die Vorgänge ständig informiert und lenkte die Delegation.

Und so ist eines klar geworden: Die albanische Seite wird sich durch eine vierwöchige Aktion der Nato nicht einfach entwaffnen lassen. Sie fordert, wie ihr Sprecher Shpati es ausdrückte, dass die Entwaffnung „parallel“ zur Umsetzung der anderen Punkte, die im Abkommen festgelegt sind, stattfindet. Das kann natürlich dauern. Wenn die Polizeireform erst im Jahre 2003 greifen wird, kann dieser Prozess schon einmal auf zwei Jahre veranschlagt werden. Und das würde bedeuten, dass die Anwesenheit von Nato-Truppen erforderlich bliebe. So ist im Abkommen schon festgelegt, dass die Nato unter bestimmten Umständen den von ihr selbst gesetzten Zeitraum von 30 Tagen überschreiten, also ihr Mandat verlängern kann. Das jedenfalls bestätigt Botschafter Eiff. Wer die Lage in Bosnien in Erinnerung hat und weiß, dass der Einsatz der IFOR, später SFOR, einstmals auf ein Jahr festgelegt war, jetzt aber schon über fünf Jahre dauert, wird nicht glauben wollen, dass der militärische Einsatz der Nato in Mazedonien auf den avisierten Zeitraum begrenzbar bleibt.

Das Abkommen wird zudem von Gruppierungen beider Seiten aus bedroht. Es sei nicht völlig überraschend, dass sich angesichts der gemäßigten Linie der UÇK Unzufriedene auf der albanischen Seite in einer neuen Guerrillaorganisation zusammengeschlossen haben, sagen diplomatische Quellen in Skopje. Und diese Guerilla hat einen Namen: „Nationale Albanische Armee“ (AKSH). Die Personen, die hinter der AKSH stehen, so zum Beispiel Xhafer Hasani, ein nationalistischer Politiker aus dem Kosovo, weisen darauf hin, dass diese Gruppe von jenen Kräften in der UÇK gegründet wurde, die sich nicht mit einer Reform des mazedonischen Staates zufrieden geben, sondern eine Abspaltung der Albanergebiete und ihre Vereinigung mit dem Kosovo anstreben. Sollte also diese Gruppe trotz der Anwesenheit der Nato weitermachen, würde die Lage kompliziert. Oder anders ausgedrückt: Die Nato könnte in Kämpfe verwickelt werden.

Auf der slawischen Seite sind die Radikalen in paramilitärischen Gruppen organisiert. Da ein Teil der männlichen Bevölkerung vor wenigen Wochen bewaffnet wurde und die radikal-nationalistischen Flügel der politischen Parteien mit dem Kompromiss nicht zufrieden sind, könnten weitere Morde wie schon in Bitola im Juni oder in Prilep vor wenigen Tagen die Auseinandersetzungen zwischen den Bevölkerungsgruppen wieder anheizen. Ein großer Teil des Polizeiapparates sympathisiert ohnehin mit den Radikalen. Und vom Innenminister wie auch dem Verteidigungsminister weiß man, dass sie nicht immer mit der Linie der Regierung Georgievski übereinstimmten. Was die Vorkommnisse in Bitola betrifft, sammeln Menschenrechtsorganisationen schon Beweise dafür, dass die Überfälle und das Niederbrennen albanischer Häuser von „oben“ dirigiert wurden.