Der Schreck der Schießbudenbesitzer

■ Er fällt kaum auf, aber er hat einfach alles: Seit 1962 betreibt Jürgen Bockelmann einen Tante-Emma-Laden in Findorff und wehrt sich gegen die Großen – erfolgreich / Wer einmal von Kuscheltieren erschlagen werden will, der ist hier richtig

Es gibt ihn noch, den einfachen Laden um die Ecke: Schlicht, ohne Dauerbeschallung aus dem Off, ohne das zickige Tüt-Tüt des Kassen-Preisscanners. Mitten in Fin-dorff, eingekeilt zwischen den Supermarktriesen EXTRA im Westen, Kafu im Norden, SPAR und ALDI im Osten, verkauft Jürgen Bockelmann nun schon seit 1962 alles, was man so braucht: Klopapier, Seife, „Bonschen“, Kuscheltiere und Korn – ein paar freundliche Worte gibt es gratis dazu.

Auf der Eingangstreppe sitzt eine Schülerin. Genüsslich kaut sie an einer Weingummischlange, die sie aus dem beeindruckenden Bonschen-Sortiment erstanden hat. Das Arsenal an Süßwaren ist ein echter Blickfang. „Eigentlich habe ich früher auf der Auslage mein Gemüse feilgeboten“, erklärt Jürgen Bockelmann. Bis er feststellte, dass die Kundschaft dem Mix aus Cola-fläschchen, Gummibärchen und Lollis in allen erdenklichen Farbkombinationen eher zugetan war. „Tja, so entwickeln sich die Verkaufsideen“, sagt der Verkäufer aus Berufung. Mehrstöckig und meterlang erstreckt sich mittlerweile das Sortiment über den Laden. Später erzählt er, wie das so war, 1962, als alles begann. Damals waren die Findorffer Anwohner nämlich noch verwöhnt und gar nicht begeistert, als der junge Herr Bockelmann den ersten Selbstbedienungsladen eröffnete. „Da musste ich mir ganz schöne Sprüche anhören“, erinnert sich der heute 64-Jährige. „Scheiß-Laden, alles muss man selber suchen“, hieß es von denen, die den Bringedienst à la Tante Emma gewohnt waren.

So fiel der Umsatz zu Beginn eher mager aus, bis die misstrauischen Kunden den Laden annahmen. Doch der gelernte Verkäufer ließ sich nicht entmutigen. „Machen, gar nicht drum kümmern“, lautet sein Motto. Das ist heute umso aktueller. Mächtige Konkurrenz aus allen vier Himmelsrichtungen rückt dem Kleinbetrieb auf die Pelle. Mit den Supermärkten verließen ihn nicht nur viele Kunden sondern auch die Warenlieferanten. „Denen war mein Umsatz zu niedrig“, schimpft der Mann mit dem kurzen silbergrauen Haar. „Außerdem waren die Lieferpreise so hoch, dass man es gleich bleiben lassen konnte“, fährt er fort.

Und so kam es, dass Jürgen Bockelmann Verkäufer und eigener Lieferant in Personalunion wurde. Andere Läden schmissen zu der Zeit das Handtuch. Ein Tabakladen schräg gegenüber, eine Drogerie und ein Gardinengeschäft – alles Geschäfte, die von Shopping-Centern geschluckt wurden.

Worin liegt nun das Geheimnis des kleinen Nischen-Supermarktes, wenn nicht im Profit? Mit welchem Zaubertrank arbeitet Jürgen Bockelmann? „Hier ist Leben“, lautet die knappe Antwort. „Der Laden ist Heimat für mich“, schwärmt der Mann, der hier in Walle eher unter seinem Spitznamen „Bucki“ bekannt ist.

Jede Ecke, jedes Regal, jeder Gegenstand erzählt eine eigene Geschichte. Zum Beispiel die Kuscheltiere. Ein ganzes Heer von Plüschhündchen, Rehen, Kätzchen erstreckt sich über die oberen Regalreihen. Auch dort, wo früher die Wurst hing, haben sich die kleinen Plüschwesen niedergelassen. Sie alle sind Trophäen unzähliger Streifzüge über die norddeutschen Jahrmärkte. Unschlagbar ist Jürgen Bockelmann auf dem Gebiet der Treffsicherheit und Wurfkunst. Mit den Jahren sammelten sich etwa 50.000 Tiere an, wie der Verkäufer und Schreck hiesiger Schießbudenbesitzer seine Ausbeute schätzt.

Vor der Ladentür wird auch häufig geschossen. Zwar nicht auf Dosen, aber die Kreuzung bietet genug Platz für das eine oder andere Fußballspiel. Marco, ein Nachbar, darf dann an der Kasse stehen, während Bockelmann sich unter das dribbelnde Jungvolk mischt. „Dummes Zeug reden, lustig sein und nicht alles so ernst nehmen“, so sei er halt, erklärt „Bucki“ seine Beliebtheit.

Auch Katzen wissen das zu schätzen. Diddl, ein dicker Kater mit Kuhfleckenfell, fand bei Bucki Asyl, nachdem es mit dem Nachwuchs zu Hause zu laut wurde. Jetzt räkelt er sich entspannt auf dem Läufer vor der Kasse und erfreut sich seiner alten Tage. Dass Bucki seinem Kater Gesellschaft leistet und in Rente geht, ist eher unwahrscheinlich. Genauso unwahrscheinlich, dass der Gallier des Bremischen Findorff gar den Laden resigniert aufgeben würde: „Mein Schnack: Ich fall hier tot im Laden um und dann hat sich's.“

Ina Stelljes