Erlösung von den modernen Zeiten

■ Vorsprung durch Pathos: Die Nu-Metal-Stars Staind führen am Montag im Grünspan das melancholische Erbe des Grunge ins neue Jahrtausend

Pearl Jam! Dieser erste Gedanke kommt beim Blick auf das nächtliche Video zu „It's Been Awhile“, der ersten in Deutschland wahrnehmbaren Single von Staind. Wie eine direkte Kreuzung aus Eddie Vedders introvertierter Wut und der Optik eines Michael Stipe windet sich dort Sänger Aaron Lewis zu seinen Teenager-Ängsten. Würde so der Grunge klingen, wäre er in diesem Jahrzehnt erfunden? Ist dies der geistige Nachfolger von Pearl Jams seinerzeitigem Überalbum Ten?

Wohl nicht ganz. Doch wer sind Staind? Sie stammen aus dem Rennstall der allmächtigen Limp Bizkit-Korn-Posse, auch wenn sie musikalisch vielleicht eher bei Alice In Chains warm werden. Da ist die Geschichte mit Fred Durst, der Redcap, dem „sucker from Jacksonville“. Oktober 1997: Die Band Staind spielt seit gut zwei Jahren zusammen, und wird bei einer Show in Hartford für eben Limp Bizkit eröffnen. Im Vorfeld kommt es zum Streit mit Fred „Pummelchen“ Durst über das Cover-Artwork ihres ersten Albums, Tormented. Er tobt, möchte die Vorband rausschmeißen. Doch dafür ist es zu spät, die vier Burschen aus Springfield spielen ihr 45-Minuten-Set – und hinterher steht Durst erneut vor der Tür. Er lädt die Jungs in sein Städtchen Jacksonville ein, und fertig ist das erste „richtige“ Album, Dysfunction. Sie durchlaufen die Standard-Erfolgs-Rituale, durch die auch einst Korn die damalige Nachwuchs-Hoffnung Limp Bizkit schleppten: Vorprogramm im Familien-Clan – bei Kid Rock oder der Erfolgs-Gebär-Maschine namens „Family Values“-Tour. Schleichend verkauft sich ihr Debüt bis zur Millionen-Grenze, dem Händchen von Fred Durst sei dank. Unverkennbar die Sound-Vorgabe des Nu-Metal-Heroen, die glasklaren Drums, die Gitarren-Riffs. Nach endlosen Tourneen haben die vier nun ihr eigentlich drittes Album fertig – zählt man eben jenes demohafte Debüt von 1996 mit. Eine Woche stand Break The Cycle in den US-Regalen, als Gitarrist Mike Mushok angeblich in einem Supermarkt den Anruf der Plattenfirma bekam, es stehe auf Platz 1 der Album-Charts. Mit 700.000 verkauften Kopien. „Ich begann zu weinen.“

The next best thing. Als nicht weniger werden sie in den USA gehandelt. Und ganze Heerscharen von wütenden Teenagern hängen an den Lippen von Aaron Lewis, der einst als Koch jobbte und sich auf ein Leben als Goldschmied vorbereitete. Erlösung von den modernen Zeiten erwarten sie von ihm. Zumindest in seinen Zeilen voll Einsamkeit und Heranwachsenden-Nöten. „It's been a while, since I could hold up my head high“, singt er dann. Und denkt zurück an seine Kindheit als Hippie-Kind, gehänselt und verprügelt im ländlichen Amerika. Das kommt an bei den Jugendlichen jenseits des Wirtschafts-Wunders. „Wenn du unsere Musik dunkel nennen willst, ist das in Ordnung. Ich nenne sie realistisch, ich zeichne nichts dunkler, als es tatsächlich ist.“ Meint Aaron, der früher nicht am Sportunterricht teilnahm, wegen der schüchternen Weigerung sich umzuziehen. Und nun in großen Arenen seinen Seelenzustand entblättert. Und das derart treffend, dass ein Junge in Illinois sich zum Staind-Song „Outside“ erhängte. Da bleibt dem kahlköpfigen Propheten der seelischen Apokalypse die Flucht in die Natur: Jagen und Fischen sammeln seine Gedanke seit Kindheitstagen. Und er ist Mitglied der stockkonservativen „National Rifle Assosiation“, die das Recht auf die eigene Feuerkraft für ähnlich elementar hält wie das täglich Brot.

Waffenvernarrtheit hin, die Dunkelheit der Texte her. Tatsache bleibt, das Staind für einen ersten Besuch nach Hamburg kommt, zum einzigen Clubgig in hierzulande. Bevor sie im September bei den MTV Video Music Awards auftreten, nominiert für ihr Video zu „It s Been Awile“. Ob Eddie Vedder sich mitfreuen wird? Volker Peschel

Montag, 20 Uhr, Grünspan