Kein Bock auf Normal

■ Gewitterstimmung bei den Beginen: Gerade eingezogen, frisch tapeziert, und dann wurde gestern Konkurs angemeldet / Ein Stimmungsbericht

Der Beginenhof. Irgendwo im ersten Stock ist jetzt Astrid Ziemanns Zuhause. Seit sechs Wochen schreibt sie stolz „Beginenhof“ als Adresse – und erntet meist heftige Reaktionen: „Wo wohnst du? Im Beginenhof? Sind die nicht pleite!?“ Ziemann zuckt dann mit den Schultern. „Dass wir kein Geld haben, das wissen alle. Aber was der Beginenhof eigentlich ist, das wissen sie nicht.“ Die meisten, klagt Ziemann, denken doch an wilde Lesben-WGs und sind ganz erleichtert, wenn sie hören, dass jede ihre eigene Wohnung hat.

Ortstermin. 72 schlüsselfertige Wohnungen, alle bis auf zwei besetzt. Nur Frauen wohnen hier, behinderte, alte, allein erziehende, manche in fester Partnerschaft, einige mit Kindern, und manche sind sogar von weit hergekommen. Zwar gehen hier selbstverständlich auch Männer ein und aus – nur wohnen, das dürfen sie hier nicht.

Vor sieben Wochen ist Astrid Ziemann mit ihrer Tochter eingezogen. 73 Quadratmeter, Balkon, drei Zimmer, nur alles nicht so günstig geschnitten, meint Ziemann. Attraktiv findet sie nur das Umfeld der Wohnung: die Frauen, die Nachbarschaftshilfe, die gemeinsamen Unternehmungen. Ziemann wollte weg vom Land, wo sie bislang gelebt hat, allein erziehend und viel isolierter.

Der letzte Umzugskarton steht bei Ziemanns noch im Wohnzimmer, in die Küche soll noch ein anderes Regal. Und jetzt der Konkurs. „Das drückt auf die Stimmung“, meint die Ergotherapeutin. „Eigentlich ist man auf Neuanfang gepolt, aber das zieht einem den Boden unter den Füßen weg.“

Von Ausziehen spricht noch keine Begine. Nicht Astrid Ziemann, nicht Hella Stuke, und auch nicht Ulla Opsölder. Nur von Abwarten. Von der Hoffnung auf einen Inves-tor – auf einen guten, der das Frauen-Projekt respektiert und die Läden im Erdgeschoss nicht ausgerechnet an Sex-Shops vermietet. Und darauf dass sie, die Betroffenen, doch bitte in die weiteren Planungen mit einbezogen werden. Trotzdem gibt es Frauen, „die jetzt nur noch die billigste Gardinenstange kaufen“. Denn wer weiß schon, wie lange die Vorhänge im Beginenhof hängen bleiben.

Amtsgericht: Gestern, 14 Uhr, die Beginen haben den Konkursantrag eingereicht. „Wütend und traurig“ ist Hella Stuke. Sie ist extra aus Berlin gekommen. Ihren Job dort hat die Musiktherapeutin aufgegeben, nicht wegen eines neuen in Bremen, sondern wegen der Beginen. Als ihre Entscheidung damals fiel, gab es noch nicht mal einen Grundriss für die künftige Bleibe. Nur die Idee – und die überzeugte.

Und jetzt der Konkurs. „Das trifft uns ganz empfindlich am Nerv“, meint Hella Stuke. Mitten in der Phase, wo sich alles gerade formiert. Mitten zwischen neuen Möbelkäufen und ersten gemeinsamen Touren zu Ikea. „Danach hat die eine die Löcher gebohrt, die andere die Lampen aufgehängt.“ Alles zusammen. Jede so wie sie es am besten konnte.

Wenn dieser Frauen-Gedanke in Zukunft verloren ginge, würde sich Ziemann etwas Neues suchen. Dann wäre der Beginenhof nicht mehr als „eine ganz normale Siedlung“. Einigermaßen sauer auf ihren Vorstand sind sie jetzt schon, die Beginen. Da wurden noch Einlagen in Höhe von mehreren tausend Mark überwiesen, als Erika Riemer-Noltenius und Elke Schmidt-Prestin den Konkurs bereits hätten absehen können. Geld, das jetzt weg ist, und bei Auszug nicht mehr zurück gezahlt würde. „Trotzdem sind wir aber auch dankbar, dass die beiden das Projekt überhaupt gewagt haben – als erste“, meint Ziemann.

Bei Hella Stuke steht Kuchen auf dem Tisch. Freundinnnen kommen vom Bodensee hoch, um sich den Bremer Beginenhof anzugucken. Vielleicht würden die auch einziehen wollen. Vielleicht. Aber erst mal abwarten, wie es weitergeht.

Dorothee Krumpipe