Die Zärtlichkeit der Yakuza

Riskante Filme für fröhliche Leute, die wissen, dass der unnatürliche Tod selbstverständlich einer der erhabensten ist: Das Eiszeit zeigt eine Reihe zu Ehren des japanischen Schauspielers Terajima Susumu

von ANDREAS BECKER

Beinahe hätte es das Eiszeit als erstes unabhängiges Kino erwischt. Geschlossen wegen mangelnder Zuschauerresonanz. Eine Eiszeit-Macherin ist sogar überzeugt davon, dass inzwischen Kreuzberger bis nach Mitte fahren, um sich Filme anzuschauen, die auch bei ihnen um die Ecke laufen. Mit einem Mainstream-Programm jedenfalls lässt sich dieser Trend nicht stoppen, und so macht das Eiszeit-Team nach eigener Aussage wieder das, „was wir immer gemacht haben und uns am Herzen liegt“: Teils abseitiges, aber spannendes und entdeckenswertes Autorenkino, wie dieser Tage zum Beispiel eine Filmreihe mit dem japanischen Schauspieler Susumu Terajima.

Vielen wird sein Name vielleicht nichts sagen, sein Gesicht aber erkennt man sofort wieder. So zum Beispiel als Kollege von Takeshi Kitano in dessen großartigem „Hana-Bi“. Der Film über einen Mann und seine todkranke Frau machte Kitano in Deutschland bekannt. Ein poetisches Werk mit selbst gemalten Bildern, vielen Morden und noch mehr kontemplativen Momenten am Meer. Es ist nicht leicht, Ruhe zu finden in einer Welt der Killer, die immer so eine blöde Hektik verbreiten.

In „Hana-Bi“ kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass all die Schießerei eigentlich Zärtlichkeit und Zuwendung bedeutet. „Ich erschieße dich“ ist in Japan eine Liebeserklärung. Ich bezeuge dir die Ehre, dass du ein solcher Halunke bist, dass es lohnt, dich zu töten. Der Todeskampf ist ein Ballett der Zuckungen und Verzückungen des ehrenwerten Todes. Was es zu erlegen gilt, ist nur auf der realen Ebene so wenig wie ein Koffer voll Geld. Die andere Ebene ist die Jagd nach dem Erstrebenswerten. Du besitzt etwas, das ich haben möchte. Egal, ob es ein Auto, ein Mädchen, Gesundheit oder Cash ist. Ich muss es dir in einem gerechten Kampf abjagen. Dabei ist es selbstverständlich, dass man sich in Gruppen zusammenschließt. Manche nennen es Mafia oder Yakuza. Jedenfalls ist ein Mitglied eines solchen Männerbundes immer bereit, einen Finger zu opfern. Kastrationsangst kennt ein Yakuza nicht.

Poetisch in höchstem Maße ist „Hole In The Sky“. Der Himmel über einem Restaurant, das an einer Straße liegt, die kaum noch frequentiert wird, wird zur Leinwand der Sehnsüchte und Ängste. Ichio hat das Restaurant von seinem Vater übernommen, den er verdammt, weil er glaubt, dass dieser Schuld am Verschwinden der Mutter trägt. Der Film spielt auf der Insel Hokkaido, und er unterhält eine starke Beziehung zur Natur. Wenig Gewalt und viel Liebe und Zärtlichkeit und blaue Farbe fürs Dach. Auf einer Wiese im Schlafsack liegen oder am Highway von den LKWs umtost werden: Alles wird zu einer existenziellen Erfahrung und verlangt nach Entscheidung. Gehen oder bleiben? Liebe oder Tod?

„Dead Or Alive“ heißt ein weiterer Film mit Susumu. Der hat eine dermaßen rasante Anfangssequenz, dass man auf gar keinen Fall die ersten fünf Minuten verpassen darf. Rasen Sie über rote Ampeln, schießen Sie sich den Weg frei, aber verpassen Sie nichts. MTV ist ein lahmer Haufen dagegen, und die Bilder dieser japanischen Filmwelt sind schockierend – und schön. Eine barbusige Tänzerin in Lackoutfit windet sich um eine Chromstange. Ein Typ vögelt einen anderen am Pissbecken, plötzlich spritzt Blut gegen die Kacheln – jemand schlitzt ihm aus irgendeinem Grund die Kehle auf. Das sind nur zwei Puzzleteile. Dazwischen fällt einer vom Hochhaus, stressen Hubschrauber, knallen Uzis, kreischen Mädchen, dazu dröhnen Metalsounds; Aggressivität in einer Orgie aus hektischen, emblematischen Bildern. Und die wohl längste Koksline der Filmgeschichte.

Ein anderer Film der Susumu-Reihe wendet sich wiederum den Männerritualen und der archaischen Natur zu. „Shark Skin Man and Peach Hip Girl“ bewegt sich hauptsächlich im Wald – von dem wir seit der Bonner Klimakonferenz ja wissen, dass es ihn reichlich gibt in Japan. Ein Typ macht etwas, das einem viel Ärger einträgt: Er klaut für die Mafia eine Ladung Geld und will den Koffer dann aber für sich selbst. Das heißt Ärger. Er versteckt sich in einer Datsche im Wald. Hier trifft er auf ein scheinbar unscheinbares Mädchen, eine spießige Bankangestellte. Die erst später, als sie von einem Passfälscher umgestylt wird, hip und frisch aussieht. Irgendwann hat man das Gefühl, das der Film von ihr handelt. Action und Ballerei aber findet wieder einmal zwischen den Männern statt. Dabei schwingt auch in „Shark Skin“ latent eine homoerotische Komponente mit. Nicht nur wenn ein ausgeflippter Radiomoderator, der sein Studio komplett im Auto mit sich rumfährt und auch von hier sendet, einen anderen im Klokämmerchen umlegen will und ihm dann mitteilt, wie nett er ihn doch findet.

Der Film ist latent japanfeindlich – sämtliche Autos stammen aus der ganzen Welt, nur nicht aus Japan. Riskante Filme für fröhliche Naturen, die wissen, dass der unnatürliche Tod der erhabenste ist.

Terajima-Susumu-Werkschau, 16.– 22. 8. im Eiszeit, Zeughofstr. 5, SO 36