Celal hat Heimweh

■ Das Containerdorf auf Norddeutschlands größter Baustelle: Hier leben knapp hundert türkische Bauarbeiter. Sie alle wollen nichts wie weg von „Pension Space Park“

Im gelobten Land sind die Häuser orange und sechs mal 2,40 Meter groß. Die Bienen haben ihre Waben, die knapp hundert türkischen Werkvertragsarbeiter auf der Baustelle des Space Park hausen Blechdose an Blechdose – in einem 3.000 Quadratmeter großen Containerdorf. Mit Starkstrom verkabelt, holzbeplankten verwinkelten Gängen, Plastikdächern, einer Küche, Klos und Duschen. Zweckmässig, kalt, pragmatisch, etwas dreckig: Eine Stadt in der größten Baustelle Norddeutschlands, fast ein Ghetto mitten in Bremen.

Eines Tages ab dem Herbst 2002 soll der Space Park, dieser gewiefte Mix aus Shopping, Fun und Fressen, eine Million Besucher pro Monat anziehen. Derzeit haben die einzigen Bewohner alle Heimweh.

Die Türken haben ihre Heimat, Frau und Kinder seit Anfang des Jahres nicht gesehen. „Natürlich ist es schwer“, sagt Yasar, der Eisenflechter vom Schwarzen Meer, der Anfang Januar die 3.000 Kilometer ins höllenkalte Deutschland flog. „Aber auf eins mußt du verzichten: Geld oder Familie.“ Allein auf Montage: Yasar, 39 Jahre alt, schuftete schon in Salzgitter, in Fulda, und auf dem Berliner Potsdamer Platz. „Wenn es sein muss, mache ich das noch bis zur Rente.“

Sie sind billig, sie sind willig. Der deutsche Bau lahmt, allein in Bremen gibt es 1.500 Arbeitslose in der Branche. Und dennoch setzt der Space Park auf die Ausländer. „Die Deutschen sind nicht mobil, wollen keine Überstunden machen“, sagt Alexander Schreiner, Oberbauleiter von Arge, der Arbeitsgemeinschaft von drei Baufirmen, die derzeit auf dem Gelände der größten Baustelle des Nordens die meisten der rund 350 Leute beschäftigt. Türken müssen sein: „Die jungen Deutschen gehen lieber zu VW, die Alten müssen nach Hause zu ihrem Bienenzuchtverein“, meint Schreiner. Space Park-Pressemann Wolfgang Kiesel sagt: „Bei uns stapeln sich die Bewerbungen: Von Bauleuten habe ich jedoch noch keine einzige gesehen.“ Die Türken, die allesamt aus vier Dörfern in der Nähe von Trabzon kommen, haben natürlich noch einen weiteren Vorteil: Mit ihnen spart die Arge ein Fünftel der Personalkosten.

Sagt Arge-Mann Schreiner. Die Space Park-Baustelle wurde schon häufig kontrolliert – ohne große Beanstandungen. Die Gewerkschaft ist trotzdem verdammt skeptisch: „Das Arbeitsamt überprüft nicht anständig“, glaubt Klaus Rahns von der IG Bau. „Irgendwie ist das mysteriös: Wenn ich auf die Baustelle komme, sehe ich die Leute flitzen.“ Schwarzarbeiter? Nicht nachweisbar. Rahns: „Auf jeden Fall glauben wir das nicht mit dem Geld.“

Ömer Sitar vom Subunternehmer Siem, für das die Türken im Auftrag der Arge schuften, zeigt die Arbeitsverträge: Zeitlich begrenzt, 20 Mark pro Stunde gibt es – die Deutschen bekommen hier nicht viel mehr. Alles sauber, wie im deutsch-türkischen Werkvertragsabkommen festgelegt. „Unsere Leute bringen es auf bis zu 3.700 Mark pro Monat – in der Türkei verdienen sie nicht mal die Hälfte“, sagt Sitar. Stolz fügt er hinzu: „Einer hat sich in der Heimat ein siebenstöckiges Haus davon gebaut.“

Natürlich ist das alles nicht nachweisbar. Natürlich ist nicht sicher, ob die Gastarbeiter nicht doch für Kost und Logis abgezockt werden, ob sie in der Türkei nicht wieder alles zurückzahlen müssen. Gewerkschaftler Rahns zweifelt: „Wenn das den Baufirmen nicht irrsinnige Profite bringen würde, würden sie die Leute nicht extra aus der Türkei holen.“

Sitar hat ein paar seiner Leute vor den Kochcontainer geholt. Heute gab es Hühnchen mit Reis, Salat, Suppe, Ayran und O-Saft, die Baumänner lächeln verschmitzt. Natürlich sind sie wegen des vielen Geldes hier. Metin, 36 Jahre alt, war seit 1994 sieben mal in Deutschland. Heimisch geworden ist er hier nie: „In unserem Dorf dürfen Jungen und Mädchen nicht Hand in Hand über die Straße gehen. Aber eins ist gut: Die Deutschen haben Respekt vor der Arbeit.“ Der Betonbauer freut sich, dass er bald wieder zurück in die Heimat darf. Dennoch: Deutschland ist nicht die schlechteste Arbeitsstelle. Metin: „Ich habe auch schon in Lybien gearbeitet. Dort fehlt oft der Respekt. Wenn du einen Unfall baust, sagen sie: Wenn du nicht gekommen wärst, wäre nichts passiert. Das Klima ist härter.“ Das Containerdorf verläßt er – wie alle anderen – selten. Wozu auch: Deutsch sprechen sie kaum. Ab und an mal zur großen Moschee in der Nähe. Oder Schlange stehen bei einem Telefonladen in Gröpelingen. Abends wird gezappt: Im Kabel-TV gibt es sieben türkische Kanäle – immerhin.

Auch Celal, der Schaler, sucht sein Glück in Bremen. Seine Tochter hat eine unheilbare Augenkrankheit: Sie erblindet langsam. Ab und an schickt er Kontaktlinsen nach Hause. Und trotzdem wird noch viel Geld übrig bleiben. Hofft er. Seinen Container, Nummer 27, teilt er sich mit einem alten Bekannten. Die Pension Space Park hat das Niveau einer schlechten Jugendherberge. Zwei Pritschen mit blau-weiß-kariertem Bettzeug, Neon-Lampen, grauer Plastik-Fußboden, Spind, ein Fernseher, Kaffeemaschine, eine Packung Pringels, ein Gebetsteppich, ein Spiegel mit Bruchglas.

Die Liebe ihrer Frauen und Kinder mussten sie zu Hause lassen. Monatelang, Tag und Nacht, rund um die Uhr. Allein für den Wohlstand. Hoffentlich sind sie abends zu müde, um darüber nachzudenken. Hoffentlich zahlt sich die Plackerei eines Tages aus.

Kai Schöneberg