Trommeln kreisen um sich

Gebrochen und bedrohlich: Die Garifuna All Star Band aus Belize, Honduras und Guatemala kultiviert bei den Heimatklängen den Griot und indianische Ahnenkulte

Die Stadt fühlt sich subtropisch an, früher wäre der Asphalt weich geworden, laszive Lähmungserscheinungen: Bewegungen funktionieren nur noch in Zeitlupe. Schon vom Ostbahnhof aus hört man die monotonen Trommeln und denkt: Genau das Richtige jetzt.

Auf der Bühne des Tempodroms steht unter fast freiem Himmel die Garifuna All Star Band, alle in Schweiß, aber konzentriert, beinahe aggressiv. Lugua Centeno, der trommelt und singt, ist sehr angespannt. Auch alle anderen schlagen auf ihr Schlagwerk mit einer Wucht, dass man kurz denkt, toll, das sind die echten Wurzeln von Techno, aber viel besser, radikaler, weil ohne Melodien, und man fragt sich, warum eigentlich keine Hardcore-Gabba-Leute da sind. Die gleichförmigen, traditionellen Call-and-Response-Gesänge sind alles andere als fröhlich, und trotz des einfachen Rhythmus, der einen glatt in Trance versetzten könnte, traut sich aus dem kunterbunten Multikulti-Publikum, obwohl es wild entschlossen aussieht, sich um jeden Preis zu amüsieren, erst mal kaum jemand so richtig, zu tanzen.

Die Garifuna All Star Band beruft sich auf eine Kultur, die sich einer zweifachen Verschleppung verdankt. Mitte des 17. Jahrhunderts strandeten in der Karibik Sklavenschiffe, Überlebende aus Westafrika, besonders der Stämme der Bantu und Yoruba, retteten sich auf die Insel St.Vincent und vermischten sich mit den dort lebenden Indios. 150 Jahre später wurden die Garifuna, wie sie sich inzwischen nannten, ein zweites Mal verschleppt. Ihre Kultur verbreitete sich entlang der Küste von Guatemala, Nicagarua und Belize. Die Gariganu, wie diese ethnische Gruppe eigentlich heißt, verweigerten sich, so gut es ging, der Kolonialisierung. Zurzeit denkt man in Belize darüber nach, ob Garifuna als Unterrichtssprache in der Schule eingeführt werden soll. Ihre Musik, die auch als Punta Rock bekannt geworden ist – inzwischen sieht man in Belize zuhauf T-Shirts mit dem Aufdruck „Punta Till You Drop“ –, integriert Einflüsse des indianischen Erbes, etwa den Ahnenkult aus Surinam, kuliviert aber vor allem die musikalischen Traditionen der Musiker an den westafrikanischen Königshöfen, hält sich fest an tiefem, dunklem, groovigem, manchmal fast Angst machendem Griot zu um sich selbst kreisenden Rhythmen.

Erst als im offenen Zelt des Tempodroms nach der Pause der Punta-Rock-Superstar Andy Palacio mehr in den Vordergrund rückt und die einzige Frau auf der Bühne, die charismatische Backgroundsängerin Marcella Torres, mit unnachahmbaren Hüftbewegungen antanzt, fängt das Publikum langsam an mitzumachen. Manche jubeln sogar. Es braucht also keine unverfälschte Lebenslust an diesem heißen Abend in Berlin, keine naive Ideologie vom Ursrungsmythos, es kann auch gebrochen und bedrohlich zugehen, und trotzdem kann die Stimmung toll sein.

SUSANNE MESSMER

Garifuna All Star Band bei den Heimatklängen, heute 21.30 Uhr, morgen 16 Uhr, Tempodrom am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune Ecke Mühlenstraße, Friedrichshain