Ganz in Understatement gekleidet

Schöne Schuhe zu tragen ist nie falsch: Nach einer Phase großer Melancholie mit kleinen Geschichten hat Sabine Alt ihren ersten Roman verfasst. Sehr heiter, mit viel Geld, viel Berlin und vielen Anekdoten. Nur die vielen gesunden Zähne stören

von CHRISTIANE TEWINKEL

„Schöne Schuhe haste.“ Alltagstauglich, leise hingesagt, mit ein wenig Befremdlichkeit angenommen, als ob es zu diesem Surrounding nicht passte, dieses kleine Kompliment an schwarze, nadelspitze Schuhe mit heller Paspel und die dazugehörige Trägerin, ganz in Understatement gekleidet. Also in ein schwarzes „Lieber nicht zu sehr auffallen außer durch diskrete Eleganz“. Trotzdem – dieser Satz also, „Schöne Schuhe haste“, passte irgendwie perfekt zu dem Roman, aus dem am Donnerstagabend im Kaminzimmer des Adlon gelesen wurde.

„Kira Royale“ heißt das neue Buch. Weil es schon in München einmal ein „Kir Royal“ gab, klar. In welchem es um die Schickeria ging. Jetzt geht der ganze Spaß in Berlin los: Mit einer Psychologin als Hauptfigur, einer Klatschkolumnistin, einem Architekten mit hippem Sohn, diversen Senatoren, Künstlern und Angehörigen der Akademie der Künste. Einmal kommt auch ein Mann vom Wissenschaftskolleg vor. Die Schauplätze sind Schlachtensee, KaDeWe, das Adlon und die Hackeschen Höfe. Ständig wird Zeitung gelesen, Berliner Zeitung, FAZ und Tagesspiegel. „Kira Royale“ spielt also in Berlin, und das mit Begeisterung.

Es ist Sabine Alts erstes Buch. Von daher die halb private Lesung, nur zur Sicherheit, die freundschaftlichen Komplimente. Nachher stehen die Bekannten um die kleinen Tischchen auf der ersten Etage im Adlon herum, kleine Jungs in gestreiften Marco-Polo-Shirts laufen umher, man sitzt nebeneinander auf dem samtroten Sofa und lässt sich das Buch von der Autorin signieren: Leinen, Seide und Ultragepflegtheit, dabei ein ausgelassener Ton. Zum Trinken wird, was sonst, Kir Royal gereicht.

Sabine Alt hat erst vor fünf Jahren zu schreiben begonnen. Zuerst waren es Erzählungen, reichlich melancholische, die Verlage lehnten dankend ab. Schlugen aber vor, mit einem Roman noch einmal anzufragen. Da hat sich Alt, gebürtige Berlinerin und Ruhr-Exilantin, ein halbes Jahr lang hingesetzt, jeden Morgen „drei, vier Stunden“, hat einen Plot entworfen und einfach drauflosgeschrieben. Ihr Romanerstling, bei Reclam Leipzig erschienen, ist eine Mischung aus „Beim nächsten Mann wird alles anders“ (nur ansehnlicher) und Hera Lind (nur klüger): Kira Bruckner, „schönste Psychologin Berlins“, soll Millionen erben, bekommt sie aber nur, wenn sie einen paritätisch ausgestatteten Mann zum Heiraten findet.

„Heiter“ sollte es werden, sagt Alt mit Blick auf die Melancholie ihrer Schreibanfänge. Das ist es wohl geworden. Das Buch hat eine Heiterkeit, die sich „umwerfend!“ nennen ließe. Dieses zu oft vergessene Wort wird nur von ganz bestimmten Personen verwendet, und die sind es vielleicht auch, für die das Buch geschrieben wurde: Die Schönen und Reichen, denen aber – hui! – ganz schöner Kladderadatsch passieren kann.

Natürlich habe sie aus dem echten Leben gegriffen, sagt Alt lächelnd. Sie höre so viele Geschichten von ihren Freunden und Freundinnen, da sei eben manches auch in das Buch eingeflossen. Geschichten und Geschichtchen durchziehen das Buch aufs schwindelerregendste. Kira erlebt das Coming-out ihres Exfreundes, die plötzliche Heilung ihrer Neurodermitispatientin, sie propellert über Sylt, geht zu Boxkämpfen und trifft sich immer mal wieder mit Thekla von Geschwitz, ihrer Klatschkolumnisten-Freundin. Dazwischen sammelt sie Heiratsanträge. Isst sehr gern – „Einen Becher mit Waldorfsalat. Köstlich duftende Hühnerkeulen, die noch warm waren. Runde Törtchen mit gebackenem Lachs. Kalte Hirschfilets, garniert mit tropischen Früchten. Brötchen und Käse. Weintrauben. Mandelkuchen und winzige Petits Fours. Dazu natürlich Wein und Wasser. Eine Flasche Sekt. Und Orangensaft. Herrlich!“ –, unterhält sich und denkt über Kleider nach: „Ich trug ein knöchellanges Kleid mit weitem Rock. Es bestand aus mehreren Lagen eines graublauen halbtransparenten Stoffes, in den schmale Leinenstreifen eingewebt waren.“

Essen und Anziehsachen sind nicht das Schlimmste, was einem Buch passieren kann. Ein Überfluss an Adjektiven und wörtlicher Rede auch nicht. Alt liebt alle ihre Charaktere und spart kein Detail aus. Nur die fade Schönheit des Lebens, die vielen gesunden Zähne, die sich in Frühstücksobst senken, die schönen Dekolletees, die Luxuskörper und Luxusvillen, das wird am Ende doch ein bisschen viel. Wer aufs eigene Geld schaut, kriegt für 18,90 Mark allerdings anständig was geboten: noch mehr Geld, Geld, Geld und tausend Anekdoten, Freundschaftlichkeit trotz „Berliner Spaßgesellschaft“ und jede Menge schöner Schuhe.

Sabine Alt: „Kira Royal“. Reclam Verlag, Leipzig 2001, 18,90 DM