Der wahre Pop geht online

Die beste Berichterstattung von der Popkomm in Köln gibt es nicht im Fernsehen, sondern im Netz. Und nicht nur zu Messezeiten ist die Internet-TV-Internetseite PopOnline anklickenswert

aus Köln JENNI ZYLKA

EB-Teams, geschulterte Beta-Kameras samt ruhigem Tonmensch und hektischem Redakteur ist man ja gewöhnt auf der Popkomm-Messe 2001. Die Privaten und die Öffentlich-Rechtlichen berichten in jeder Ecke von dem, was in diesem Jahr anders ist im Spiel um Pop und Profit (nicht viel), was in diesem Jahr gleich ist (sehr viel), und halten das Objektiv auf alle Halb- und Ganzpromis, die sie zu fassen kriegen.

Dabei bräuchten sie das gar nicht. Ein viel realistischeres, originaleres Bild gibt es längst flimmerfrei im Internet unter der Adresse www.popkomm.de. Die Popkomm ist selbstverständlich online. Fast rund um die Uhr. In Halle 13.2, auf rund drei winzigen Quadratmetern zwischen Labelständen und fast verdeckt von einer Wand aus Computern, hocken ein paar Menschen in einer mit roten Samtkissen ausgelegten Sitzecke, trinken Kaffee und unterhalten sich. Thea Sahm, „Senior Content Head of bewegte Bilder Mangement Directrice“ (oder so ähnlich) für die Sparte TV der „PopOnline GmbH“, interviewt Henning, den Sänger der Münsteraner Skater-Band H-Blockx. Zwei kleine, kaum auffällige Digitalkameras übertragen das Gespräch ins Netz, daneben steht ein Bild- und Tonmischer entspannt an einem Pult, hört mit einem Ohr den Ton ab und schaltet ab und an in die Totale: Internetfernsehen ist sooo einfach.

Die PopOnline, die sich zur Messe im letzten Jahr gegründet hat, sendet jedoch auch an den restlichen 361 Popkomm-freien Tagen. Hier gibt es alles, was mit der Vorsilbe „Pop“ eine sinnvolle Verbindung eingehen kann: Popflirt, Poptalk, Popgames und Popclash. Aber auch Videos on demand, einen Nonstop-Radio-Stream und regelmäßige Internetsendungen. Im Moment ist zusätzlich Content live angesagt: Entweder führen die Popreporter Interviews oder schleppen die Kamera zu einem der Panels und filmen etwa, wie ein DJ bei der Diskussion zum Thema „Raus aus der Oper – rein in die Clubs“ den unglaublichen, fantasieanregenden und zum Auf-der-Zunge-zergehen-Lassen geeigneten Satz „Ich bin Klassik-DJ“ spricht. Und abends werden die Konzerte gestreamt.

„Gestern habe ich Tim Renner und Smudo vor der Livecam interviewt“, erzählt Redaktionsleiter und Ex-Spex-Autor Ralf Niemczyk, „und dabei hat ein WDR-Team quasi gefilmt, wie wir live senden.“ Das WDR-Team wird noch eine Menge Arbeit mit den gedrehten Bändern haben, wird sichten, schneiden, texten und irgendwann bestimmt auch mal senden. Das Interview, ungeschnitten, zugegeben aus höchstens zwei Perspektiven, aber eben raw like sushi, wird dann längst im „messetv“ gelaufen sein, in dem man auf den Seiten der PopOnline während der vier Tage nach Köln hineinspannen kann. Wenn Thea Sahm oder Ralf Niemczyk niemanden interviewen, drehen sie die Kamera auf die in diesem Jahr sich nicht so ganz üppig durch die Gänge und am Stand vorbeischiebenden Massen.

Das Faszinierende an diesem gleichzeitig LowFi- und HighEnd-Ansprüchen genügendem Prinzip „Internetfernsehen“ ist, dass trotz der wenigen Kameras, trotz der mickrigen Technik bei der Aufnahme (nicht bei der Umwandlung) das Ergebnis nicht müder aussieht als bei einer amtlichen Fernsehproduktion. Das muss am Inhalt liegen: Keiner wird ernsthaft beim von Mega-Kamerafahrten, Schwenks und Aufziehern unterstützten ZDF-Sommergarten mitwippen. Beim Live-Stream der Garagenband „The (International) Noise Conspiracy“ hängt man begeistert an dem klitzekleinen Fernsehkästchen auf dem heimischen Computerbildschirm. Aber da lauert auch das Problem: Ziemlich bald wird Internetfernsehen geläufig sein. Und dann werden die Sommergärten, die offenen Kanäle und Internetfilme den Computer genauso voll müllen wie den Fernsehbildschirm. Hoffentlich dauert das noch.