China gerät in Bewegung

Regierung kündigt an, die aus Maos Zeit stammenden Beschränkungen der Wahl von Arbeits- und Wohnort bald aufzuheben. Denn die Leute ignorieren das sowieso

PEKING taz ■ Chinesen sollen sich künftig frei aussuchen dürfen, wo sie arbeiten und wohnen. Die bisherigen eisernen Beschränkungen bei der Wahl des Arbeits- und Wohnortes will die staatliche Planungskommission innerhalb von fünf Jahren abschaffen, gab die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua gestern bekannt.

In dieser kargen Nachricht verbirgt sich eine folgenreiche Reform, die das Leben und die Arbeitssuche von Millionen erleichtern dürfte. Denn die Regierung verabschiedet sich von einem rigiden Kontrollsystem, das unter Mao Tse-tung vor einem halben Jahrhundert eingeführt wurde. Offiziell durfte danach jeder Mann und jede Frau nur dort leben und arbeiten, wo sie gesetzlich angemeldet waren. Nur wer den so genannten Hukou – die „Haushaltsregistierung“ – vorweisen konnte, war vollwertiges Mitglied der Gesellschaft mit Recht auf Arbeit, Wohnung, einen Schulplatz für die Kinder, ärztliche Versorgung und Rente. Wer in eine andere Stadt umziehen wollte, kämpfte oft vergeblich um eine Genehmigung. Denn manche Arbeitseinheiten ließen ihre Leute nicht ziehen, die Behörden vieler Orte akzeptierten keine neuen Bürger.

Mit ihrem Reformvorhaben erkennt die chinesische Regierung die Realitäten der neuen Zeit an. Von den rund 800 Millionen Bauern Chinas haben 150 Millionen keine oder zu wenig Arbeit. Wenn China im kommenden Jahr der Welthandelsorganisation (WTO) beitritt, dürfte auch die Stadtbevölkerung in Bewegung geraten. Arbeiter, deren Fabriken der Konkurrenz aus dem Ausland nicht gewachsen sind, müssen sich woanders Beschäftigung suchen. Zudem wächst die Zahl der städtischen Jugendlichen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, jedes Jahr um fast zehn Millionen Menschen . Schon jetzt ist ein Heer von 80 bis 100 Millionen Wanderarbeitern auf der Suche nach Lohn und Brot ständig im Lande unterwegs. Weil sie keinen „Hukou“ erhalten, sind diese Leute gezwungen, sich „schwarz“ einen Job zu besorgen und in Angst vor der Polizei zu leben. Viele Unternehmen nutzen die schwache rechtliche Stellung ihrer Arbeiter aus und halten sie wie Sklaven. Diese Tagelöhner bilden bereits eine riesige Schattenwirtschaft, die kaum noch zu kontrollieren ist.

Ein nationales Beschäftigungsregister soll später das „Hukou“-System ersetzen. Jeder Bürger erhält dann, so der Plan, eine Sozialversicherungsnummer, die er überallhin mitnehmen kann. JUTTA LIETSCH