„Eine Reihe von Lücken“

Nach Ansicht von Klaus Kirschner (SPD), Vorsitzender des Bundestagsgesundheitsausschusses, hat die Arzneimittelbehörde viel zu spät auf die Todesfälle durch das Bayer-Medikament Lipobay reagiert

Interview WOLFGANG LÖHR

taz: Das Bayer-Medikament Lipobay wurde möglicherweise zu spät vom Markt genommen. Wird hier nicht deutlich, dass es im Arzneimittelrecht gravierende Sicherheitsmängel gibt?

Klaus Kirschner: Ich sehe eine ganze Reihe von Lücken, gerade bei Arzneimitteln wie Lipobay, die zur Dauertherapie eingesetzt werden. Der Cholesterinsenker wurde ja präventiv, also vorbeugend, gegen Herzinfarkt verabreicht. Und zwar Patienten, bei denen die Cholesterinwerte einen bestimmten Wert übersteigen. Hier stellt sich die Frage, wer legt diesen Risikowert fest und wie gesichert ist er?

Sie spielen damit auf den Streit an, ob ein hoher Cholesterinwert überhaupt ein Risikofaktor für einen Herzinfarkt ist?

Das ist genau der Punkt. Ob ein Lipidsenker überhaupt notwendig ist, kann ja nicht willkürlich festgelegt werden. Dazu sind wissenschaftliche Daten notwendig. Diese bekomme ich nur durch eine Langzeitstudie. Das gilt auch für die Nebenwirkungen. Langzeitstudien müssen zwingend vorgeschrieben werden.

Halten Sie denn das Meldesystem für Nebenwirkungen für ausreichend?

Wir müssen überprüfen, wo dies noch verbessert werden kann. Die Ärzte haben eine Verpflichtung, unerwünschte Nebenwirkungen mitzuteilen. Das ist unabdingbar. Für fatal halte ich eine Richtlinie der EU-Kommission, die bereits in Kraft gesetzt ist. Danach müssen die bei den nationalen Arzneimittelinstitute eingehenden Meldungen nicht zwingend an die Behörden der anderen Mitgliedstaaten weitergereicht werden. Die Bundesregierung versucht derzeit durch eine Klage diese Bestimmung, die einzig der Industrie nützt und zu Lasten der Arzneimittelsicherheit geht, zu Fall zu bringen.

Bei Lipobay gab es schon länger Hinweise auf Nebenwirkungen. Trotzdem ist nichts geschehen. Das Gesundheitsministerium wirft dem Hersteller Bayer vor, Daten zurückbehalten zu haben.

Dies muss aufgeklärt werden. Wenn es so war, dass Bayer seit Juni eine Studie vorliegen hatte, die zu einer anderen Risikoeinschätzung geführt hätte, ist mir dieses Versteckspiel unverständlich. Gegenüber den Patienten ist es unverantwortlich, dass noch mehrere Wochen gewartet wurde, diese Studie an das Bundesinstitut für Arzneimittel weiterzuleiten, und es schadet Bayer selbst in hohem Maße.

Hätte das Arzneimittelinstitut nicht schon früher tätig werden müssen?

Im März wies das arzneimittel-telegramm bereits daraufhin, dass die australische Arzneimittelbehörde vor unerwünschten Nebenwirkungen gewarnt hatte. Da hätte das Bonner Institut bereits reagieren müssen. Wenn ich dann lese, dass der Präsident des Arzneimittelinstituts sagt, schon 1998, also ein Jahr nach der Zulassung des Medikaments, sei ein Todesfall mit Lipobay in Zusammenhang gebracht worden, dann muss ich nachstoßen und fragen: Hat das Amt wirklich frühstmöglich reagiert? Das werden wir auch im Gesundheitsausschuss untersuchen.