was damals geschah
: Der Putsch

In den frühen Morgenstunden des 19. August 1991 lief auf allen drei Kanälen des sowjetischen Staatsfernsehens das gleiche Requiem: „In Beantwortung der Wünsche der Werktätigen“ habe in der Nacht vom 18. August ein „Staatskomitee für den Ausnahmezustand“ in der UdSSR die Macht übernommen: mit dem Ziel, eine „weitere Eskalation der um sich greifenden Bürgerkriegszustände zu verhindern“ und Hunger sowie Elend abzuwenden.

Die Leitung des Notstandskomitees, hieß es in der „Erklärung der Sowjetführung“, sei Vizepräsident Gennadij Janajew übertragen worden. Der Gesundheitszustand Gorbatschows „erlaube es dem Präsidenten nicht mehr, die Amtsverpflichtungen zu erfüllen“. Ein durchsichtiges Manöver, mit dem sich die Putschisten einen Anstrich von Legalität zu verschaffen hofften.

Präsident Gorbatschow erfreute sich unterdessen bester Gesundheit, er konnte sich nur nicht zu Wort melden. Das achtköpfige Putschistenkomitee hatte ihn an seinem Ferienort auf der Krim unter Hausarrest gestellt. Der Zeitpunkt des Staatsstreichs war bewusst auf den 19. August gelegt worden. Schon am nächsten Tag sollte der Kremlchef nach langem Ringen mit den 15 Teilrepubliken der Sowjetunion einen Vertrag unterzeichnen, der ihnen bisher ungekannte Freiheiten eingeräumt hätte. Das war zu viel für die Nomenklatura, die zu Recht fürchtete, die Partei würde ihre Führungsrolle und die UdSSR ihren Zugriff im Baltikum, Kaukasus und Mittelasien verlieren.

Drahtzieher waren KGB-Chef Wladimir Krjutschkow, Innenminister Boris Pugo, Verteidigungsminister Dmitrij Jasow und die Vertreter der Rüstungslobby, Baklanow und Tisjakow. Premier Walentin Pawlow gehörte auch dazu, ließ sich aber wegen hohen Blutdrucks sogleich entschuldigen.

Russlands Präsident Boris Jelzin und Vertreter der antikommunistischen Allianz verschanzten sich am Vormittag des ersten Putschtages im Weißen Haus. Innerhalb weniger Stunden hatten sich dort Tausende von Moskauern versammelt, bauten Barrikaden und bildeten einen lebendigen Schutzring um das russische Parlament. Es war ein seltsamer Staatsstreich, in dem sich die Kontrahenten abwechselnd mit Dekreten beschossen. Parteien und unabhängige Medien wurden noch am selben Tag verboten. Das half aber nichts. Notausgaben gelangten trotzdem unters Volk. Dekrete und Erlasse der Putschisten befolgte niemand.

Als sich die Putschisten am Abend des 19. dem Fernsehvolk stellten, hinterließen sie ein klägliches Bild. Figuren, die außer populistischen Losungen nichts zu bieten hatten. Dem Kopf der Verschwörung, Janajew, zitterten die Hände, er war angetrunken. Erleichtert fragte sich das Volk: „Und die wollen uns in eine lichte Zukunft führen?“

Am Abend des zweiten Tages hatte sich an der Lage immer noch nichts geändert. Wollten die Verschwörer ihre Glaubwürdigkeit wahren, mussten sie jetzt handeln. Die Zeit spielte gegen sie. Militär war zwar schon am ersten Tag im Zentrum Moskaus aufgefahren, unternahm aber keinen Versuch, das Weiße Haus zu stürmen. Einige Einheiten waren inzwischen zu Jelzin übergelaufen – auch um ein sonst sicheres Blutvergießen zu verhindern.

Am Morgen des 21. floss dann doch Blut. Ein Panzer, der seine Kolonne verloren hatte, versuchte eine Barrikade zu durchbrechen. Demonstranten steckten ihn in Brand. Drei Menschen wurden dabei getötet. Danach kam der zögerliche Vormarsch der Militärs endgültig zum Erliegen. Am Mittwochnachmittag, dem 21. August, war der Spuk vorbei. Der Putsch endete so kläglich, wie er begonnen hatte. Am Abend kehrte Gorbatschow aus dem unfreiwilligen Exil ins siegestrunkene Moskau zurück. KLAUS-HELGE DONATH