Hungern verboten!

Mit Gewalt versucht die Istanbuler Polizei, einen Hungerstreik aus Solidarität mit Häftlingen zu beenden. Elendsviertel abgeriegelt

ISTANBUL/BERLIN taz ■ In der Türkei droht eine neue gewaltsame Auseinandersetzung zwischen linksradikalen Gefangenen, deren Unterstützern und der Polizei. Seit Tagen belagert die Polizei ein Istanbuler Elendsviertel, in dem sich Angehörige hungerstreikender Gefangener verbarrikadiert haben und aus Solidarität ebenfalls die Nahrungsaufnahme verweigern. Während die Angehörigenorganisation Tayad gestern Nachmittag bereits verbreitete, die Polizei habe begonnen, das Viertel zu stürmen, um die Leute gewaltsam herauszuholen, berichteten Mitarbeiter des türkischen Menchenrechtsvereins IHD, die Polizei habe sich nach intensiven Verhandlungen zunächst zurückgezogen.

Die Hungerstreiker befürchten, Polizei und Spezialtruppen der Gendarmerie könnten die Protestaktion gewaltsam beenden und dabei auch Todesopfer in Kauf nehmen. Bereits im Dezember vergangenen Jahres hatten Spezialeinheiten 20 Gefängnisse gestürmt, dreißig Insassen waren dabei getötet worden.

In dem Viertel Kücükarmutlu, oberhalb des Bosporus gelegen, haben sich in der Vergangenheit bereits drei Frauen aus Solidarität mit den protestierenden Gefangenen zu Tode gehungert. Nach offizieller Lesart ist die Polizei angerückt, weil Familienangehörige einer der hungernden jungen Frauen Polizei und Justizbehörden bedrängt hätten, ihr „Kind“ aus den Fängen ihrer linksradikalen Freunde zu befreien, bevor es auch verhungert ist. Am Donnerstag kam es dann zu tätlichen Auseinandersetzungen, als eine Gruppe Verwandter anrückte, um Yildiz Genicioglu, die nach 300 Tagen „Todesfasten“ im Sterben liegt, aus Kücükarmutlu abzuholen und in ein Krankenhaus zu bringen.

Die Hungerstreiks begannen bereits im Oktober vergangenen Jahres. Dabei geht es darum, dass viele Gefangene, vor allem Mitglieder der linksradikalen DHKP/C, sich dagegen wehren, in neu gebaute Gefängnisse verlegt zu werden. Die neuen Knäste haben statt großer Trakte, in denen bis zu sechzig Gefangene zusammen untergebracht sind, nur noch Einzel- oder Dreierzellen.

Mittlerweile sind die Streiks in den Gefängnissen nahezu beendet worden, weil die Justizbehörden zu rigoroser Zwangsernährung übergegangen sind und darüber hinaus sehr geschwächte Gefangene einfach aus gesundheitlichen Gründen aus dem Knast entlassen. Einige dieser Personen, darunter Yildiz Genicioglu, haben sich nach ihrer Haftentlassung den Solidaritätsstreiks in Kücükarmutlu angeschlossen. JÜRGEN GOTTSCHLICH