„Den Pop verteidigen“

■ Eco und die Topols: Schillernder Literaturhaus-Herbst

Der literarische Herbst wirft lange Schatten voraus. Die Kulturschaffenden sammeln sich nach der Sommerpause und basteln an neuen Programmen. Das Literaturhaus etwa gibt sich mit einem neuen Corporate Design ein ganz neues Gewand. Neben einer schnörkellosen Schrift gibt es ein Farbspiel, dessen Intensitätsgrad mit der Häufigkeit der Buchstaben korreliert.

Und das Programm? Auch hier gibt es Neuigkeiten. Programmleiterin Ursula Keller ist nicht entgangen, dass sich die Besucher ein paar Stadtteile weiter auf dem Kiez einmal monatlich die Füße plattstehen. Der Machtclub im Mojo Club, von jungen Literaturschaffenden aus der freien Hamburger Szene ins Leben gerufen, lockt ständig junges Publikum an. Das Programm: eine aparte Mischung aus etablierten Schriftstellern und fähigen Jungschreibern, gewürzt mit einer Prise Pop und Chaos in kulttragender Umgebung.

Nun will Ursula Keller keinesfalls das Stammpublikum des ehrenwerten Literaturtempels verprellen, ignorieren will sie die Entwicklung aber auch nicht. Keller: „Was ich so traurig finde ist, dass die es geschafft haben, für die junge Literatur repräsentativ einzustehen. Man muss Pop ganz energisch verteidigen, gegen die so genannten Popliteraten.“ Und so lautet dann auch das Thema einer neuen Diskussionsreihe im Literaturhaus Alles Pop, oder was? Wohin geht die junge Literatur? Zur Premiere am 18. September sollen Ulf Poschardt, Mark Terkessidis, Joachim Bessing und der Skeptiker Georg Klein über junge Prosa streiten. Neben dieser wird die Reihe Philosophisches Café am 6. September mit dem Stargast Slavoj Zizek weitergeführt, und auch die Reihe Stücke auf halbem Weg ins Theater wird in Zusammenarbeit mit Hamburger Spielstätten wiederauferstehen.

Ansonsten bleibt sich das Literaturhaus treu; was zählt, ist literarische Qualität. Und schon der September bietet einige echte Höhepunkte. Umberto Eco liest am 20. September aus seinem neuen Schelmenroman Baudolino. Gewohnt gekonnt mischt er Fiktion und Fakten zu einer phantastischen Ritterfabel. Aus Frankreich reist am 25. September Jean-Jacques Schuhl an, der mit Ingrid Caven, einer Biografie über seine Lebensgefährtin, den renommierten Prix Goncourt errang. Caven wurde zunächst als Fassbinder-Schauspielerin und -Ehefrau bekannt, in den 70er Jahren war sie Sängerin. Am 26. September liest Harry Mulisch aus seinem obsessiv gefärbten Hitler-Roman Siegfried. Eine schwarze Idylle. Für Mulisch bleibt Hitler das „zur Erscheinung gekommene Nichts“.

Auch der Oktober wartet mit großen Namen auf. Der Ungar Péter Esterházy stellt sein epochales Portrait der Aristrokratenfamilie Esterházy Harmonia Caelestis am 2. vor, der Portugiese António Lobo Antunes präsentiert sein neues Werk Geh nicht so schnell in diese dunkle Nacht am 18. Am 4. Oktober werden zwei echte „Popper“, die tschechischen Brüder Topol zu einem gemeinsamen Auftritt erwartet. Jáchym Topol, seines Zeichens Dichter, erlangte mit dem 1998 edierten Roman Die Schwes-ter Kultstatus. Seine Helden sind die Gejagten der modernen Gesellschaft, junge Menschen, die sich in Banden organisieren und durchs harte Prager Leben schlagen. Jáchyms Bruder Filip wurde als Rocksänger und Songwriter der Prager Rockband Psí vojáci bekannt und hat Die Schwester vertont. Annette Stiekele