„Denk doch mal, zu Hause, der schöne Garten“

BINNENWELTEN – die taz-Serie über den unsichtbaren Alltag. Teil 6: Das Leben in Hamburgs Kleingärten. Abenteuer Spitzhacke  ■ Von Sandra Wilsdorf

Dauerkolonie Fortschritt und Schönheit, Kolonie Barmbeker Schweiz, Gartenverein Solidarität, Gartenfreunde Niendorfer Edelweiß: Was sind das für Menschen, die leben, wo es so heißt? Spießbürger und Rasenfriseure? Würstchengriller und über-den-Zaun-Keifer?

Im Gartenbauverein Zum Alten Lande zwischen Eimsbüttel und Hoheluft stellen erstmal Schilder klar, was erlaubt ist und was nicht: Der Parkplatz ist mit einer Kette abgesperrt, Unbefugten ist das Parken hier verboten, motorisierte Fahrzeuge sind in der Kolonie überhaupt verboten, der Durchgang auf einigen Wegen auch. Ein anderes Schild tadelt Gartenfreunde, die ihre Abwässer in den Graben kippen. Der Vorstand verbittet sich das. Und der ist gründlich groß: Erster und zweiter Vorsitzender, Schriftführerin, Kassiererin, Beisitzer, Revisoren, Schätzer und drei Wasserwarte.

Ruhig ist es, ein Paar sitzt schweigend in seinem Garten, auf frisch frisiertem Rasen. Auf einer Laube sitzt eine Storchenfamilie neben Eule und Ente aus Plastik, ein Bach plätschert. Wer immer glaubte, dass kleine Geister sich in kleinen Gärten verwirklichen, würde sich bestätigt sehen.

Menschen murmeln, verborgen hinter Blumen. Es sind Karl und Brunhilde Rattay. Die haben hier Laube, Terasse und ihr Zuhause für Sommertage, „man hat eben immer ein Ziel“, erklärt sie. Vor kurzem haben die beiden Urlaub an der Mosel gemacht. Und als sie da so in dem fremden Hotelzimmer saßen, sagte Brunhilde zu Karl: „Denk doch mal, zu Hause, der schöne Garten.“ Auf den ist sie sehr stolz, aber das Tor bleibt trotzdem zu, „man kann ja nie wissen, man hört so viel.“

Windmühlen, Vogelhäuschen, Plastikhasen, Stickdecke auf Holzbank, Hirschgeweihe: Über Geschmack lässt sich streiten, aber nicht darüber, dass diese Gartenfreunde Gartenfreunde sind. Viele Hütten sind geschlossen. Vor einer sitzen zwei Frauen. Sie sind im Festausschuss, erzählen vom beliebten Schinkenbrotessen, vom Grill- und vom Himmelfahrtsfest. Seit drei Jahren kommen sie schon, aber angekommen sind sie noch nicht. 25 Jahre lang haben sie jeden schönen Tag in ihrer Siedlung bei Hagenbeck verbracht. „Aber da mussten wir weg, weil gebaut wurde“, sagt eine.

Waltraud Steuer, auch eine Nachbarin aus Hagenbecker Tagen, sagt es deutlicher: „Wegen der Sozialwohnungen mussten wir unsere Gärten räumen, schöne Wohnungen, da wäre ich auch gerne eingezogen.“ Ihr Mann und sie, sie kommen jeden Tag. Wegen des alten Katers, der das so gewöhnt ist. „Und weil es hier so schön ist.“ Bei Regen stickt sie, näht Teddies, liest und malt Blumentöpfe an. Donnerstags und freitags haben sie das Enkelkind, deswegen steht ein Planschbecken im Garten. Manchmal kommen die Nachbarn auf einen Kaffee. Nur die von schräg gegenüber, die nicht. „Die ist grün“, sagt Waltraud Steuer. Nicht mal die Hütte könne man sehen, so lässt die ihren Garten zuwachsen.

Waltraud Steuer hat nichts gegen Ausländer. Aber sie hat so ihre Erfahrungen gemacht: Sie zeigt nach rechts, da sei ein Asylantenheim, und nach links, da sei ein Jugendclub. Der kürzeste Weg führt direkt an ihrem Haus vorbei. „Die klauen alles, was sie verkaufen können“, sagt sie. Ihre Gartenzwerge habe sie einmal auf einem Flohmarkt in Altona wieder gefunden, der Nachbar habe seine Pelikane jetzt mit Beton ausgegossen. Und: „Die heben ihre Kinder einfach über den Zaun, und dann klauen die Obst. Und wenn ich sage, sie könnten doch wenigstens fragen, antworten sie nur ,die Kinder, die Kinder'“, sagt sie ärgerlich. Was soll man sagen, sie hat es erlebt.

„Mein Garten ist mein Stressabbau, meine Erholung“, sagt Renate Sander. Weiß, lila, rosa, rot: Rosen, Wicken, Stockrosen. Fast alle sind Stauden, die jedes Jahr wieder kommen. „Ich mag Blumen nicht rausrupfen, das tut mir weh“, erklärt sie. Wenn man bei ihr und ihrem Mann auf der Holzbank sitzt, sieht man lila. Blüte an Blüte sitzen auf der Hortensie, die sie vor 20 Jahren gepflanzt haben. Nebenan ist ein Teich, in dem im Frühjahr die Frösche laichen. Renate Sander und ihr Mann kommen fast jeden Tag. Für sie ist die Gartenarbeit ein Ausgleich zum Leben im Hochhaus.

Auf der anderen Seite der Steesemannallee leben Menschen, die sich nicht mit einem Ausgleich zufrieden geben, sondern für die das ganze Leben Freiheit und einen Garten haben soll. „Heimgarten-Kolonie Kleverkamp“ heißt es hier, die Gärten sind größer und die Häuser auch. Bei einem wächst kein Grashalm, der hat sein ganzes Grundstück umgepflügt und mit einem hohen dornigen Zaun umzogen. Aber auf anderen Grundstücken wächst dafür nichts als Rasen, und darauf hängen Hängematten zwischen Apfelbäumen, wachsen Stockrosen, Malven, Kapuzinerkresse. Einer hat einen Swimmingpool für die Großen und ein Planschbecken für die Kleinen.

Unter einem Apfelbaum sitzt eine kleine Familie. „Als wir vor zehn Jahren zusammen ziehen wollten, haben wir irgendwie etwas eigenes gesucht“, erzählt der Vater. Gerne etwas Baufälliges, ein bisschen Abenteuer eben. Die Wände mussten nicht gerade sein, Hauptsache gemütlich. Und dann haben sie dieses Haus gefunden. In der Avis stand etwas von renovierungsbedürftig. „Es war eher restaurationsbedürftig“, lacht er. Man wachse ja mit den Aufgaben, und heute kann auch seine Frau sich nichts anderes mehr vorstellen. Für den kleinen Lukas sei das Leben ohne Autos toll und das Haus inzwischen auf 70 beheizbare Quadratmeter gewachsen. Alles ist so nah, „Aldi, Karstadt in der Osterstraße, alles mit dem Fahrrad erreichbar“, sagt er und wundert sich: „Ganz zentral und doch im Grünen, wo gibts's denn sowas?“. Ein Leben unterm Sonnenschirm für Menschen, die der Hamburger Immobilienmarkt nicht meint. Die blaue Pforte geht auf, ein Freund kommt vorbei. Er wohnt inzwischen schräg gegenüber. Und die anderen Nachbarn? „Das ist wie überall, mit einigen kann man, mit anderen nicht.“ Wer sagt eigentlich, Kleingärtner seien immer Kleingeister? Manche von ihnen mögen einfach Gärten wie Großstädte und zimmern sich da-raus ein Zuhause.