War lustig gewesen

Annäherung an einen Berliner Park: Im Weinbergspark in Mitte hat die Individualisierungstristesse eines Michel Houellebecq keine Chance

von KIRSTEN KÜPPERS

Es gehört vermutlich zur inneren Disposition der meisten Menschen, ihre Umgebung zu möblieren, sich ein Zuhause einzurichten im Durcheinander der Stadt. Diese Rückzugsorte dienen dann zum Schlafen, Trinken und Gästeempfangen.

Auch der Resopaltisch und die helle Ledercouch, die sich die Alkoholikergruppe vom Weinbergspark kürzlich am Rand der Büsche aufgestellt hatte, glichen einer solchen freundlichen Einladung zum Dabeisein im Wohnraum Grünanlage. Morgens zeigten die leeren Bierdosen und vollen Aschenbecher auf dem Tisch den Passanten den Konsum der vorangegangenen Nacht und dass es wieder lange lustig gewesen sein muss. Am Nachmittag kam der Mann, der immer einen kleinen Hund und ein lautes Radio dabei hat. Er fing dann auf der Couch schon mal an mit Trinken und Musikhören. Die anderen brachten später Zigarettentabak mit. Und zusammen führten Männer, Radio und Hund ein entspanntes Lebensmodell vor, das sympathisch gegen jede Houellebecqsche Individualisierungstristesse aufzubegehren schien. Das ging indes nur ein paar Tage lang gut. Jetzt sind die Möbel wieder verschwunden, die Trinker haben sich in ihre Sträucher zurückgezogen. Vermutlich hat irgendeine Ordnungsmacht durch Entsorgung von Couch und Tisch kurzerhand noch einmal klargestellt, wo hier die Grenzen zwischen oben und unten verlaufen.

Die Grünfläche funktioniert wieder innerhalb der bekannten Regeln: Wer sie als Wohnung verwenden will, darf das Gegebene nicht verändern. Viele junge Mädchen schlafen deswegen einfach ohne Matratzenunterlage in den Rosenbeeten. Es ist die Form, die es in Berlin zu wahren gilt.

Die heute als Park am Weinbergsweg in Berlin-Mitte bekannte Anhöhe wurde erstmals Anfang des 16. Jahrhunderts als Weingut erwähnt. Nachdem im harten Winter 1740 die meisten Rebstöcke erfroren, ist der Weinanbau jedoch aufgegeben worden. 1936 war ein kleiner Teil des Areals im Norden zum ersten Mal öffentliche Grünanlage. Zwischen 1954 und 1958 legten die Helfer des Nationalen Aufbauwerkes auf zusammengetragenen Trümmern dann eine größere Parkanlage an, die Gestaltung übernahm der Gartenarchitekt Helmut Kruse. Seither dient der Weinbergspark vielen Berlinern nicht nur als Wohnprojekt, sondern auch als generationsübergreifende Unterhaltungsmöglichkeit.

Von einer Mauer aus Naturstein gestützt, ragt als Mittelpunkt die Caféterrasse mit Pavillon. Bei der Love Parade tanzten sich hier junge Christen beim „Join the Jesus Republic“-Rave in Trance. Sonntagnachmittags war dann wieder Senioren-Diskothek. Das kurzweilige Programm wird von einem ausreichenden Speiseangebot begleitet: Der zum Pavillon gehörige Gastronomiebetrieb grillt im Sommer Nackensteaks. Ein am Fuß der Anlage gelegener Imbiss an der Brunnenstraße bietet die populäre Eurosnack-Auswahl von Lahmacun und Langnese-Eis. An kulturellen Impulsen fehlt es dabei keineswegs. Mit dem schönen Namen „Art & Kebab“ leistet der Imbiss-Inhaber seinen ganz eigenen Beitrag zur Verkunstung des öffentlichen Raums.

Am westlichen Eingang des Parks erinnert ein überlebensgroßes Heinrich-Heine-Denkmal aus Bronze an die kreativen Potenziale dieser Stadt. Allerdings ist der ursprünglich neben Heine angelegte aufwendige Schaugarten mit Blütengewächsen mittlerweile dem Anbau eher unscheinbarer Gehölz- und Staudenpflanzen gewichen. Geld für Blumen fehlt. Auch für die Bewässerung des Vorhandenen kann der Bezirk meist keine Mittel aufbringen. Die zur Brunnenstraße leicht abfallende große Liegewiese gleicht darum in den Sommermonaten schnell einer traurigen Savannenlandschaft – Anziehungspunkt für junge Menschen und ihre Hunde.

Presseberichten zufolge haben die Straßenkinder vom Alexanderplatz vor wenigen Monaten ihre Zentrale in den Weinbergspark verlegt. Seit man neulich eine junge Punkerin gesehen hat, die ihrem netten Hund grundlos in den Bauch trat, ist die Sympathie gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe allerdings sehr abgeflaut. Trotzdem haben es die meisten Hunde hier gut. Sie dürfen mit den vielen Bikini-Kindern im Weinbergsteich baden. Zuschauer fühlen sich auf angenehme Weise an Delphin-Shows in Florida erinnert. Überhaupt ist die Vielfalt der Tierwelt im Weinbergspark außerordentlich. Als der Teich vor kurzem einmal austrocknete, fand man im Schlamm Schlangen und Flußkrebse. Anwohner nahmen sie als preiswertes Abendessen mit nach Hause. In der näheren Umgebung gibt es keine anderen Grünflächen.