„Ich heiße Müller, nicht Lafontaine“

„Allein erziehende Mutter: Das hätte ich auf Dauer nicht mitgemacht.“

Interview SUSANNE STIEFEL

taz: Frau Müller, Sie waren die Ehefrau eines prominenten Politikers. Wie kamen Sie damit klar?

Christa Müller: Für eine selbstbewusste Frau ist diese Rolle nur schwer erträglich. Sie wird in der Öffentlichkeit nie als eigenständige Person wahrgenommen, nur als Anhängsel.

Hat Sie das wütend gemacht?

Aber sicher. Man ist ein Individuum, hat eigenständig Karriere gemacht, zieht daraus Selbstsicherheit. Und plötzlich muss man schmerzlich erfahren, dass einem das Recht auf ein eigenes Leben abgesprochen wird. Das merkt jede Frau erst hinterher, auf was sie sich einlässt, wenn sie sich in einen Prominenten verguckt. Das ist hart.

Frau Blüm ärgerte sich, dass die Leute ihrem Mann mit Respekt begegnen, sie jedoch nicht einmal wahrnahmen. Kennen Sie solche Situationen?

Mich hat genervt, dass ich anfangs immer mit Frau Lafontaine angesprochen wurde. Da habe ich mir gedacht: „Mein Gott, können die sich nicht mal Müller merken? Ist doch nicht so schwer.“ Aber mit der Zeit kriegt man eine ziemlich dicke Haut.

Frau Müller, wie haben Sie Hannelore Kohl wahrgenommen?

Ich habe sie am Tag der Deutschen Einheit hier im Saarland getroffen. Da hat sie auf mich sehr distanziert gewirkt. Ich hatte das Gefühl: Da spielt eine perfekt die Rolle der Frau des Bundeskanzlers. Hannelore Kohl, so schien es, hat ihre Identität völlig zurückgenommen, um das zu sein, was von ihr als Gattin erwartet wurde.

Klingt ziemlich altertümlich.

Stimmt, altertümlich und konservativ. Doch das ist heute noch gefragt. Nehmen Sie Doris Schröder-Köpf: Sie ist aus dem Beruf ausgestiegen. Sie engagiert sich sozial, erfüllt ihre Pflichten als Frau des Bundeskanzlers, hübsch aussehend, nett angezogen, ruhig, zurückhaltend, im Hintergrund wirkend. Das ist nicht viel anders als das, was Hannelore Kohl gelebt hat. Das wird honoriert, auch in den Medien.

War der Freitod von Hannelore Kohl auch ein Anstoß, über das Los von Politikerfrauen nachzudenken?

Das ist mit einem kurzen Nachruf und ein paar nachdenklichen Artikeln getan. Die Leute gehen auf die Beerdigung, sagen „arme Frau“, und dann ist es erledigt. Frauen werden dann geliebt, wenn sie Opfer sind. Das war bei Hannelore Kohl wie bei Prinzessin Di, das ist bei Hillary Clinton so. Nein, man müsste die Rolle der Politikerfrau revolutionieren und sagen: „Wenn du deine Empfänge machst, geh alleine hin, ich bin berufstätig, ich habe keine Zeit.“ Doch in der Öffentlichkeit wird das nicht akzeptiert.

Cherie Blair, Frau des britischen Premierministers, kriegt das wohl hin.

Ja. Das würde mich wirklich mal interessieren, wie sie das macht. Ob das nicht zu ihren und zu Lasten der Kinder geht.

Sie haben’s anders probiert.

Ja, ich habe mich zu politischen Fragen geäußert und bin damit aus dem Raster gefallen. Aber die Strafe folgte sofort, die Medien schrien auf: „Der Mann hat doch nichts zu melden. Bei Lafontaines ist die Frau Finanzminister.“ Offenbar ist die Gesellschaft noch nicht reif für eine Neudefinition der Frau an seiner Seite.

Gibt’s da keine Spielräume?

Wenige. Ich habe eine gute Ausbildung gemacht, mich breit engagiert, hatte auch Glück im Beruf. Aber als ich meinen Mann kennnen gelernt habe, war meine Karriere beendet. Darunter hab ich lang gelitten. Ich war für diese Rolle wohl nicht so geeignet.

Weil Sie den Mund aufmachten?

Ja. Ich bin eine leidenschaftliche Ökonomin. Wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Fragen interessieren mich eben. Doch da war immer die Frage: „Was kann ich sagen?“ Wenn ich den Mund aufmachte, sah mich die Öffentlichkeit nie als Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung oder des Parteivorstands, sondern ausschließlich als Frau des SPD-Parteivorsitzenden oder Bundesfinanzministers.

Warum haben Sie nicht auf den Tisch gehauen?

Das hilft nicht. Sie können in einem persönlichen Gespräch sagen: „Hallo, ich bin Christa Müller, das ist mein Mann. Und es kann sogar passieren, dass wir mal unterschiedlicher Auffassung sind.“ Die Leute nehmen einen nur wahr als „seine“ Frau. Dagegen kommen Sie nicht an. Ich habe viel darüber nachgedacht und mit meinem Mann besprochen. Wir wollten nicht das traditionelle Modell einer Politikerehe leben: Er macht den Job, sie kümmert sich um Kind und Repräsentation, Familie findet nicht statt.

Wie wollten Sie’s denn gern?

Mein Mann und ich haben uns bei der Arbeit kennen gelernt. Unsere Idealvorstellung war: Er hat sein politisches Amt, ich arbeite in seinem Stab. Wir wollten weiterhin zusammen arbeiten und leben.

Klingt gar nicht so schwer.

Ist es aber. Es gab den Fall Ingrid Matthäus-Maier. Die wollte ihren Mann als Mitarbeiter einstellen. Da hieß es sofort: „Die will dem nur ein Einkommen verschaffen.“ Ich bin sicher, dass der Ehemann von Matthäus-Maier ihr bester Mitarbeiter gewesen wäre. Ich bin auch die beste Mitarbeiterin meines Mannes. Doch hätte er mich zur Büroleiterin gemacht, wären das wieder Riesenschlagzeilen in der Boulevardpresse gewesen.

Sie reden erstaunlich ruhig drüber.

Heute ja, aber vor zehn Jahren hing ich oft an der Decke. Meist hat mein Mann meinen Zorn abgekriegt. Wir streiten zu Hause kaum, aber wenn wir mal gestritten haben, dann über das, was ich in irgendeinem Interview gesagt habe. Manchmal dachte ich dann: „Der arme Mann! Jetzt hat er es schon so schwer in seinem Beruf und dann auch noch mich als Frau.“ Ich habe mich nicht so verhalten, wie es gefragt war.

Sie haben Ihren Mann als Ministerpräsidenten mitgekriegt, im Kampf um die Kanzlerkandidatur, als Finanzminister. Wann waren Sie glücklich?

„Hübsch, nett, ruhig. Das ist nicht viel anders als Hannelore Kohl.“

Die Zeit als Ministerpräsident war eine schöne Zeit. Da stand er nicht so im Rampenlicht wie als Parteivorsitzender oder Finanzminister. Jetzt ist es noch besser. Weil wir Tag für Tag mehr Freiheit zurückgewinnen. Der Verlust der politischen Ämter war ein großer persönlicher Freiheitsgewinn.

Es gibt Menschen, die unter Machtverlust leiden. Motto: Erfolg ist sexy, und ohne Amt bist du unattraktiv.

Die meisten Frauen finden es nicht sexy, wenn ihre Männer dauernd weg sind. Vor allem selbstständige und kluge Frauen. Und das sind doch die Partnerinnen, die Politiker wollen, oder? Also die meisten jedenfalls. Hoffe ich doch.

Sie lachen. Weil Sie das selbst nicht glauben?

Nein, weil ich an die Zeit denke, als mein Mann Kanzlerkandidat war. Was er 1990 an Liebesbriefen von Frauen bekommen hat, das war beachtlich. Nein, die Politikerfrauen, die ich kenne, die wollen ihren Mann lieber zu Hause sehen als im Fernsehen.

Wann ist der Punkt erreicht, an dem die Frau sagen muss: Stopp! Das mach ich nicht mehr mit?

Das muss jede selbst entscheiden. Es gibt Frauen, die einen Lustgewinn daraus ziehen, dass sie Frau eines bedeutenden Mannes sind. Ich nicht. Das Ende meiner Karriere, das habe ich so einigermaßen verkraftet. Aber als mein Mann Finanzminister war in Bonn und ich allein erziehende Mutter in Saarbrücken: So eine Situation, die viele Politikerfrauen ein Leben lang ertragen, hätte ich auf Dauer nicht mitgemacht. Doch eine andere Rolle, wir hatten das schon, wird in der Öffentlichkeit nicht akzeptiert. Es könnte aber in Zukunft für Politiker immer schwerer sein . . .

. . . eine Frau zu finden?

Ja, oder eine Frau auf Dauer an sich zu binden. Frauen werden diesen Zirkus nicht lebenslänglich mitmachen.

Sind Sie froh, diesem Zirkus entkommen zu sein?

Ja, ich habe Glück gehabt. Ich hätte auch ein Interview wie dieses so nicht führen können. Heute kann ich sagen, was Christa Müller denkt.