Bundestag: Wegtreten!

Auslandseinsätze brauchen kein Bundestagsmandat, sagt CDU-Schäuble und will Grundgesetz ändern. Grüne nennen das „katastrophal“, FDP findet es „wunderlich“, Schröder „interessant“

BERLIN taz ■ Wer entscheidet, ob deutsche Soldaten ins Ausland geschickt werden? Bisher der Deutsche Bundestag. Doch ausgerechnet führende Oppositionspolitiker finden diese Praxis nun „etwas absurd“. Dem Spiegel erklärte der ehemalige CDU-Chef Wolfgang Schäuble, die derzeitige Regelung sei „zu perfektionistisch“. Eigentlich reiche es doch, wenn die Regierung über einen Auslandseinsatz entscheide. Das Parlament fühle sich, als ob es „auf dem Feldherrenhügel“ sei: „Das sind wir aber nicht.“

FDP und Grüne reagierten ablehnend. „Einzig und allein die Abgeordneten des Bundestages entscheiden über Auslandseinsätze“, erklärte FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt. „Wir sehen keinen Änderungsbedarf.“ Die grüne Fraktionschefin Kerstin Müller sprach von einer „guten Tradition“. Die Zustimmung des Parlaments sei nötig auch „aufgrund unserer Geschichte“.

Die SPD-Fraktion hielt sich zurück. Allein der parlamentarische Geschäftsführer Wilhelm Schmidt nannte den Vorstoß „nicht unsympathisch“. Kanzler Schröder findet ihn gar „interessant“. Doch will man sich die Debatte nicht aufzwingen lassen. Sorgsam streute die SPD Zweifel, ob sich Schäuble in der CDU durchsetzen kann.

Dem Kanzler käme eine Neuregelung gelegen. Seit Tagen beherrschen Spekulationen die Schlagzeilen, ob er sich mit einem Votum für einen Einsatz in Mazedonien im Bundestag durchsetzen kann. Nicht nur Teile der Grünen, auch 28 SPD-Abgeordnete haben sich ablehnend geäußert. An diesem Mittwoch wird vermutlich das Kabinett darüber entscheiden – Ende der Woche müsste dann der Bundestag zusammentreten. Schröder zeigte sich gestern optimistisch, dass das Votum im Bundestag zustande kommt.

Unterdessen werden heute die letzten Soldaten des 520 Personen starken Vorauskommandos in Mazedonien erwartet. Bis morgen will die Nato laut Diplomaten entscheiden, ob die Waffenruhe stabil genug für den Einsatz ist. Die Waffenruhe scheine zu halten, so gestern ein Nato-Sprecher.

Für Schäubles Vorschlag wäre eine Verfassungsänderung nötig – für den Mazedonien-Einsatz spielt seine Überlegung ohnehin keine Rolle. In der Unions-Fraktion ist sie offenbar nicht abgestimmt: Allerdings unterstützt der außenpolitische Sprecher seiner Fraktion, Karl Lamers, Schäubles Idee. Die Abgeordneten seien von Entscheidungen über operative Einsätze ohnehin „überfordert“, sagte Lamers.

„Das ist eine Frechheit“, urteilte Angelika Beer, verteidigungpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Nach dieser Logik könne man das Parlament durch „20 Expertengruppen“ ersetzen – „und das Parlament beurteilt einmal im Jahr, ob es gut fand, was die entschieden haben“, sagte die Grüne der taz.

Auch Ulrich Irmer, außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, versteht die Union nicht. Es sei verständlich, wenn die Regierung das Parlament umgehen wolle, aber dass der Vorschlag aus der Opposition komme, sei „höchst wunderlich“. Die Befassung der Abgeordneten damit „erhöhe die Hemmschwelle“ für einen Einsatz, sagte Irmer der taz. Entscheide die Regierung allein, stünde sie unter größerem Zwang, Bündnistreue zu beweisen. „Es träte ein Automatismus ein – und das wollen wir nicht.“

Irmer wie Beer vermuteten, die Union wolle mit ihrem Vorschlag nur von ihrer derzeitigen Handlungsunfähigkeit ablenken. Irmer kritisierte, dass die Union ihre Zustimmung noch immer von einer allgemein besseren Ausstattung der Bundeswehr abhängig mache. Diese Forderung sei „zwar für sich richtig“, sagte Irmer, stehe aber auf einem anderen Blatt als die Mazedonien-Entscheidung.

MATTHIAS URBACH

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