Handball in der Nase

Ärzte! Verbieten können sie sehr gut. Es dient ja alles nur dem Wohl der Schleimhäute

War es ein Zeichen? Als mir die Apothekerin, nachdem ich meine wöchentliche Dosis Aspirin geordert hatte, beim Zahlen eine Schachtel überreichte, die sie „Geschenk“ nannte? Und die sich zu Hause als „blend-a-dent Hygienic-Spezial-Zahncreme für Dritte Zähne“ entpuppte?

Und dass ich obendrein nur fünf Tage später von kaum zu stoppendem Nasenbluten heimgesucht wurde, war es ein zweites bedrohliches Signal? Auf dass mir dieserart offenbart werde, wie nichtswürdig ich die letzten zwölf, dreizehn, fünfzehn Jahre meine kostbare Gesundheit mit Rauch, Sprit, Nikotin, Hefen, Gerste, Harzen, Handkäs, Alcool, Bier und Schokolade traktiert und schon beinahe in die Knie gezwungen, nahezu nach unten gewirtschaftet hatte?

Wenig später fanden sich umfängliche Tamponaden in meiner Nase wieder, wachsgetränkte, zur Größe eines Kinderhandballs aufgequollene Leintücher. Das Personal der Uniklinik kannte mich noch, vor zwei Jahren hatte man mir unter Einsatz aller kurzerhand mobilisierbaren Pflegekräfte die Nasenscheidewand zertrümmert. Schon mein unangemeldetes und überstürztes Eintreffen in der alten HNO-Baracke rief herzliches Gelächter hervor, und als der Meister Professor samt Laienschar heranrobbte, stürzten meine letzten, kühn zu nennenden Arztillusionen mit ohrenbetäubendem Lärm in sich zusammen.

Plötzlicher Taubheit und simultaner Erblindung nahe, stopfte der miese Halunke enthusiastisch Ladung für Ladung Grobfaserplatte beide Nasenlöcher hinauf bis zur Stirnhöhle und freilich ohne die einem Mindestmaß an humanitärer Grundbefindlichkeit gebührende Lokalanästhesie. Teufel, wie das Salzwasser aus meinen zusehends trüben Augen rann und zahllose Kundgaben – „Oooochs“ und „Ahas“ und „Mehr Tampon!!“ – gegen mein zerfurchtes Trommelfell prallten! Wie sie sich freuten, die noch unreifen, „im Praktikum“ befindlichen und träge vor sich hin murmelnden Jungärzte und gar nicht schönen Jungärztinnen, diese schon mächtig ihr Angeberwesen der Welt darbringenden Wohltäter von hoher Arroganz, Stumpfsinnigkeit und grausamer Niedertracht.

Mir operierten sie nach sieben nutzlosen Tamponadetagen auf der Krankenhauspritsche die ehedem akzeptable Nase zu Klump – und hernach wieder kein Rauchen, insofern das feuerrot leuchtende Ensemble aus Schleim, Blutgerinseln und Muskelfasern Nikotin angeblich nicht vertrage. Die hämisch verhängte Prohibition akzeptierte ich freilich klaglos, heute weiß ich, dass einer operierten und/oder blutenden Nase nichts besser zu Gesicht steht als das gefäßverengende, segensreiche Endlosqualmen.

Hintergehung ist jedoch der Ärzte beliebtestes Tun, Unterdrückungslust ihr Hauptcharakterzug. Muss es sie, die Götter in Eiweiß, eigentlich geben?, frage ich mich von Begegnung zu Begegnung nachdrücklicher. Meine Schleimhäute seien sowieso zu vergessen, informierten sie mich diesmal, verschrieben Nasenspray und ein Schmerzmittel, das den plötzlichen Herztod herbeiführen könne.

Wo sollte es langgehen, war die Frage, ich nahm zwei so genannte Nachsorgetermine bei einem HNO-Doktor wahr. Und wer sich je von der Verkommenheit dieser besonderen Arztart überzeugen möchte, sollte nichts weiter tun, als sie aus der Nähe, sozusagen auf Nasenhöhe in Augenschein zu nehmen.

Mein Exemplar ist ein quasi gattungstypischer Dummkopf. Ein Kugelschreiberhalterarzt. Gibt vor, Nasenschleimhäute zu inspizieren, indem er vor meinem Gesicht einmal hin und einmal her läuft, den Kehlkopf ableuchtet, sich erneut – dem Doktorenberuf unzweifelhaft immanent – „niederlässt“, Alkohol untersagt und weitere „Checks“ anordnet. Ich fragte nach „wenigstens Bier“, brachte die Hoffnung auf Kneipenabende zur Sprache, wurde jedoch korrigiert und, weil ich einen „Schweinedoktor“ erwähnt hatte, der „nicht länger tragbar“ und „aus dem Land zu jagen“, wie ja „überhaupt die gesamtgesellschaftliche Ärzteplage umgehend“ zu „bekämpfen“ sei, mit sanften Handkantenschlägen gegen die Nasenscheidewand nach Hause geschickt.

Jetzt langt es. Das tat nämlich richtig weh. JÜRGEN ROTH