Projekt zu Nord-Atommüll scheitert

Flüssiger Strahlenmüll im russischen Murmansk: USA ziehen sich aus internationalem Projekt zurück. Norwegen finanziert de facto die Entsorgung der Nordflotte durch über hundert zwischenstaatliche Projekte – allerdings mit großen Problemen

„Da wurde erst einmal viel ins Blaue hinein versucht. Aber die Anlage soll laufen“

von REINHARD WOLFF

Während gerade das gesunkene Atom-U-Boot „Kursk“ gehoben wird, um die vom Wrack ausgehende Strahlengefahr für das Nordmeer abzuwehren, zeigt das Schicksal eines technisch wie finanziell wesentlich weniger ehrgeizigen Atomabfallprojekts in Murmansk, wie schwer es zu sein scheint, auch nur ein kleines Puzzleteil des Atommüllproblems in Nordwestrussland wenigstens einigermaßen in den Griff zu bekommen. 1994 wurden die Verträge des „Musterprojekts für west-östliche Zusammenarbeit“ (US-Vizepräsident Al Gore) feierlich unterzeichnet: Eine Anlage zur Bearbeitung und Lagerung von schwach- und mittelradioaktivem flüssigem Strahlenmüll, der in den Häfen an der Barentssee vor allem im Zusammenhang mit dem Betrieb von atomar angetriebenen zivilen wie militärischen Schiffen anfällt.

Vor sechs Jahren wurde mit dem Bau der Anlage begonnen, seit fünf Jahren sollte sie fertig sein. Nun steht es in den Sternen, ob die Bauruine jemals ihren Betrieb aufnehmen kann. Zu sowjetischen Zeiten schaffte man sich dieses Müllproblem ebenso wie die „Entsorgung“ anderen Strahlenmülls recht einfach vom Leibe: es wurde im Nordmeer versenkt. So blieb es auch, als in Moskau eine russische Regierung verantwortlich wurde.

1994 hatten sich die USA und Norwegen verpflichtet, mit Russland zur Lösung dieses Problems zusammenzuarbeiten und es Moskau so zu erleichtern, die Verpflichtungen der Londoner Konvention von 1993, die Meere nicht mehr zum atomaren Lagerplatz verkommen zu lassen, einzulösen. 10 Millionen Mark sollte das günstige Projekt kosten, mit welchem jährlich 5.000 Kubikmeter flüssigen radioaktiven Abfalls in einer Separationsanlage von seinem Volumen her verkleinert, in Beton verschlossen und dann an Land gelagert werden sollten. Das ursprüngliche Budget wurde weit überschritten, neu bewilligte Geldspritzen sind ebenfalls verbaut und laut einem internen Bericht der norwegischen Strahlenschutzbehörde von Anfang des Jahres steht das gesamte Projekt endgültig auf der Kippe.

Norwegen und Russland müssten sich zu einem Kraftakt aufraffen. Partner USA ist nämlich schon länger einfach abgesprungen. Die Problemliste scheint nahezu endlos: Auch nur ein ordnungsgemäßer Testbetrieb der Anlage war bislang unmöglich, da stetig neue Fehler auftreten, die zu beheben sowohl mangels geeigneter Technik als auch wegen Problemen mit Ersatzteilen extrem zeitaufwendig ist. Die am Bau beschäftigten Arbeiter erhalten wenn überhaupt dann unregelmäßig Lohn.

Erling Stranden vom norwegischen Strahlenschutzinstitut vergisst nicht die eigene Unerfahrenheit mit den Verhältnissen in Russland – „da wurde erst einmal viel ins Blaue hinein versucht“ –, schiebt aber den USA deutlich den schwarzen Peter zu: Die Zusammenarbeit habe nicht funktioniert, die teilweise ungeeignete US-Technik habe große Probleme gemacht, und als sie nicht wie geplant funktionierte, habe man einfach die Klamotten hingeschmissen und sich aus dem Projekt zurückgezogen.

Stranden: „Die haben es sich reichlich einfach gemacht.“ Man habe offenbar aus politischen Gründen von Washington unmöglich einzuhaltende Zeitvorgaben bekommen. Es wurde auf eine Fertigstellung vor den Präsidentenwahlen gedrängt: Al Gore wollte offenbar mit der Inbetriebnahme des Projekts rechtzeitig noch ein paar Punkte bei der Ökobewegung sammeln. Nachdem klar war, dass diese Rechnung nicht aufgeht, habe man in Washington offensichtlich das Interesse an dem Projekt verloren und kurz vor den Wahlen einfach den Geldhahn zugedreht.

Noch gibt man sich bei der federführenden Strahlenschutzbehörde entschlossen, die Anlage fertig zu bauen, so Stranden: „Es geht auch um eine prinzipielle Frage: Wie können wir denn ansonsten in Zukunft verlangen, dass Russland sich an internationale Abkommen hält, wenn wir es jetzt im Stich lassen?“

Im Osloer Außenministerium zeigt man sich wesentlich vorsichtiger, wie viel Geld noch in das Fass ohne sichtbaren Boden gesteckt werden könne. „Es ist ein unglückliches Projekt“, so der für Atomfragen dort zuständige Torbjörn Norendal: „Es hat viel zu viel Geld verschlungen und ist maßlos verspätet.“ Und Norendal macht klar, dass dies nur eines der von Norwegen mitfinanzierten Bauprojekte in Nordwestrussland ist, mit dem man Probleme habe. Nach einer Zusammenstellung der Osloer Tageszeitung Dagens Naeringsliv trägt die norwegische Staatskasse mit rund 120 Millionen Mark zur Realisierung von nicht weniger als 111 Projekten bei, mit denen einige der akutesten Atommüllprobleme auf der Kola-Halbinsel behoben werden sollen.

Bei den meisten dieser Projekte gebe es massive Schwierigkeiten bei der Umsetzung oder beim Betrieb. Woran durchaus nicht immer die gern bemühten russischen Bürokraten und Paragraphen die Hauptschuld tragen. Ein Bericht des norwegischen Rechnungshofs kritisiert als Problempunkte mangelnde Kompetenz, Planungsarbeit und Erfahrung auch auf der westlichen Seite der meisten Zusammenarbeitsprojekte. „Was hier gemacht wird“, urteilte Fredric Hauge von der norwegischen Umweltschutzorganisation Bellona schon vor Jahren, ähnele sowieso „dem Versuch, einen Schädelbruch mit einem Pflaster zu behandeln“. Und nicht einmal das will kleben.

Zur russischen Atomflotte und dem Müllproblem allgemein:www.bellona.no