american pie
: Michael Jordan heizt Comeback-Spekulationen an

Auferstehung als Verlierer

Das Gym mit dem passenden Namen „Hoops“ ist ein schmuckloses Gebäude in einem Geschäftsdistrikt von Chicago. Es beherbergt drei Basketballfelder, die für 110 Dollar pro Stunde gemietet werden können. Dieser Tage stehen Interessenten jedoch häufig vor verschlossenen Türen. Das Hoops ist schon besetzt – und zwar von keinem anderen als Michael Jordan, der Basketball-Legende, die ihre „zweite Auferstehung“ (Sports Illustrated) vorbereitet. Der 38-Jährige will seine endgültige Entscheidung über ein Comeback zwar erst Mitte September bekannt geben, doch die Zeichen mehren sich, dass Jordan entschlossen ist, das Abenteuer NBA noch einmal zu wagen und für die Washington Wizards, deren Präsident er ist, auf Punktejagd zu gehen.

Den ganzen Sommer über trainierte Jordan bis zu sechs Stunden täglich, bestritt hitzige Matches mit jungen Spielern vom College oder seinen Wizards und ließ sich auch von einem Rippenbruch nach Zusammenprall mit Wizards-Profi Ron Artest kaum stoppen. Sechs Wochen Pause waren ihm verordnet, nach drei Wochen stand er mit einer Schutzweste wieder auf dem Platz. Zuletzt hat sein langjähriger persönlicher Trainer Tim Grover, der ihn auch jetzt betreut, öffentlich bezweifelt, dass sich der sechsmalige Champion die nötige Kondition für die lange NBA-Saison nach der Rippengeschichte noch aneignen könnte, doch Grover steht mit seiner Skepsis ziemlich allein. Spieler wie Penny Hardaway oder Bill Wennington, die mit dem Ruheständler übten, konnten kaum Unterschiede zum alten Jordan feststellen. „Du kannst ihn nicht ausspielen, selbst wenn er 50 ist“, meint Hardaway und fügt hinzu: „Sein Wurf ist da, seine Intensität, er könnte leicht 20 Punkte im Schnitt machen“. Wennington sagt: „Er könnte in jedem beliebigen Team einer der drei Topleute sein.“

20 Punkte? Einer von dreien? Man darf davon ausgehen, dass so etwas einem Michael Jordan keinesfalls genügt. Auslöser für seinen Wunsch, zurückzukehren und den jungen Hüpfern, die so verzweifelt wie vergeblich versuchen, die von ihm hinterlassene Lücke zu stopfen, noch einmal zu zeigen, wer der wahre Meister ist, war das Comeback von Eishockeyspieler Mario Lemieux. Auch ein Klubchef, der im Dress seiner Pittsburgh Penguins mit 37 Jahren sofort wieder zu den gefährlichsten Torschützen der NHL zählte.

Wenn Jordan zurückkommt, will er der Beste sein, und um herauszufinden, ob das möglich ist, hat er in dieser Woche einige Koryphäen der Liga nach Chicago eingeladen. Mit Cracks vom Schlage eines Michael Finley, Antoine Walker oder Tim Hardaway spielt er vier Stunden täglich, angeblich möchte sich Jordan aber auch mit einigen der jungen Stars wie Vince Carter, Tracy McGrady oder Kobe Bryant messen. Erst wenn diese Tests befriedigend verlaufen, soll, so heißt es, endgültig entschieden werden.

Die jüngeren Konkurrenten trauen dem Altmeister noch eine Menge zu. „Er wird derselbe Michael Jordan sein“, sagt Bryant. Allen Iverson erklärt: „Es ist mir wurscht, wie alt er ist.“ Und Tim Taft, Sportmediziner an Jordans alter Universität North Carolina, meint: „Selbst wenn er etwas eingebüßt hat, 95 Prozent Michael Jordan sind immer noch verdammt gut.“

Dennoch hoffen viele Fans, er möge sich so etwas nicht antun und sein perfektes Karriereende mit dem Meisterschaftswurf gegen Utah 1998 lieber nicht antasten. Jeff van Gundy aber glaubt, dass die Rückkehr längst beschlossene Sache ist. Es sei bestimmt kein Zufall, so der Coach der New York Knicks, dass die Wizards ihr erstes Saisonspiel am 30. Oktober ausgerechnet im New Yorker Madison Square Garden austragen, in der Vergangenheit die bevorzugte Bühne für Jordans basketballerische Großtaten. Van Gundy ist sicher, dass Michael Jordan nach wie vor an manchen Abenden der Größte sein wird, „aber sicherlich nicht an jedem Abend“.

Für Penny Hardaway ist die Kardinalfrage, wie ein Spieler, der so viel gewonnen hat, mit dem Verlieren klarkommen wird. Die Wizards, das ist gewiss, werden auch mit Jordan zu den schwächsten Teams der Liga zählen. Im Übrigen neben der Päppelung des Ego ein sehr praktischer Grund für das Comeback. „Wir brauchen ein Umfeld, in dem die Leute gern spielen wollen“, spricht Jordan die Schwierigkeiten an, herausragende Spieler nach Washington zu locken. Mit ihm als Köder dürfte das um einiges leichter werden. MATTI LIESKE