Hereinspaziert!

Harun Farocki zeigt, warum angebliche Shopping-Paradiese perfekt geplante Höllen sind („Die Schöpfer der Einkaufswelten“, ARD, 23 Uhr)

Einkaufszentren sind totalitär organisierte Systeme, die Kunden sind ein Teil davon

von CHRISTIAN BUSS

Fünf Schlipsträger stehen vor einem Regal mit Toastbroten und streiten sich: Sollen die Backwaren neben- oder übereinander ausgebreitet werden? So recht einig werden sich die Herren, die hier mit dem Eifer von Volksaufklärern das Sortiment einer Supermarktkette in die perfekte Anordnung bringen wollen, trotz ihrer angeregten Debatte nicht.

Auf dem Workshop von leitenden Angestellten eines traditionellen Münchner Bekleidungshauses herrscht ebenfalls Uneinigkeit: Bei der Diskussion um die Neugestaltung der Verkaufsräume kriegt man sich darüber in die Haare, wie alte Tracht zeitgemäß zu präsentieren ist. Mit läppischen Anglizismen und bajuwarischer Halsstarrigkeit wird darüber gestritten, in welchem Flair sich der moderne Janker-Träger wohl heimisch fühlen mag.

Und auch der Manager eines Berliner Einkaufszentrums ficht offensichtlich mit ganz persönlichem Engagement für die Innengestaltung seines Reiches. Ein griechischer Gastwirt hat ihm mit einer „Bretterbude“ das schicke „Miami-Vice-Ambiente“ verhunzt, das soll Konsequenzen haben.

Wie muss die schöne neue Einkaufswelt beschaffen sein? Die Geschäftsführer, Architekten und Städtebaubeauftragten, die Harun Farocki in seiner erhellenden Dokumentation ausführlich zu Wort kommen lässt, haben darauf ganz unterschiedliche Antworten. Denn wenn auf den langen Planungssitzungen die Krawatten gelockert und die ersten Biere getrunken werden, schwappen auch schon mal Empirie und Emotion ineinander.

Der Blick in die USA zeigt jedoch, dass die Verkaufsoptimierung ein knochentrockener Prozess ist. Bei seinen in der taz veröffentlichten Vorrecherchen (siehe Ausgabe vom 4. 2. 2000) skizzierte Farocki die militaristisch organisierte Überwachungs- und Führungslogistik, mit der im Mutterland der Malls der Konsument gehandhabt wird.

Sein Film indes beleuchtet stärker die manchmal etwas unentschieden anmutende deutsche Variante dieser Optimierungsbestrebungen: In scharfen Gegenschnitten mit den digitalen Kontrollbildern, durch die US-Manager die Wertschöpfung ihrer Shopping Center zu forcieren suchen, erscheinen die hiesigen Kollegen wie Konsumromantiker: In einer Szene sabbelt ein Inneneinrichter aufgeregt von Euphorie und Glücksgefühlen, die das von ihm geschaffene Ambiente auslösen soll.

Während hierzulande also noch immer gerne das Gefühl ins Feld geführt wird, argumentiert man auf der anderen Seite des Atlantiks mit Logarithmen. Durch strikte statistische Auswertungen wird dort die einträglichste Nutzung der Verkaufsflächen errechnet; schließlich wird der Kunde umfassend durchleuchtet und seine Touren durch die Regale detailliert dokumentiert. Dabei erinnern die digitalen Punkte, die den Mall-Besucher auf dem Bildschirm darstellen, nicht ganz zufällig an jene Bilder, die der Filmemacher in seinem Doku-Essay „Gefängnisbilder“ über die Überwachungsmethoden in amerikanischen Strafanstalten gezeigt hat. So lässt Farocki, der Medienanalytiker unter den hiesigen Doku-Regisseuren, den Käufer als Teil eines totalitär durchorganisierten Systems erscheinen – und füllt nebenbei den schwammigen Begriff des Konsumterrors endlich mit konkreter Bedeutung.

In Deutschland, so zeigt „Die Schöpfer der Einkaufswelten“, fällt der Angriff auf die Sinne des Kunden noch etwas milder aus. Vielleicht verfügt man einfach noch nicht über die präzisen Hightech-Waffen, mit denen sich seine Wahrnehmung gänzlich beherrschen ließe.

Doch auch hierzulande wird aufgerüstet: In einer Szene sehen wir, wie die Mitarbeiterinnen eines Kaufhauses darauf trainiert werden, den so genannten focus point des Konsumenten zu finden, also jenen Fixpunkt, den sich seine Augen im unübersichtlichen Dschungel der Warenwelt suchen. Die Idee dieser Übung, die von den Verkäuferinnen mit geradezu soldatischer Akuratesse absolviert wird, entspricht einer alten militärischen Regel: Nur wer mit den Augen des Feindes sieht, der kann ihn auch besiegen.