Bisschen unpolitisch

Aber ansonsten voller liebenswürdiger Altertümlichkeiten: Das Musical Swinging St. Pauli im Schmidts zum Zehnjährigen  ■ Von Liv Heidbüchel

Begeisterungsbekundungen wie „knorke“ und „dufte“ haben sich seit ihrem Revival vor einiger Zeit wieder einen erstaunlich festen Platz im Sprachgebrauch erobert. Man muss ja auch nicht ständig „geil“ sagen. Trotzdem haftet genannten Adjektiven immer noch das Flair vergangener Jahrzehnte an. Swinging St. Pauli heißt zum Beispiel das neue Musical im Schmidts Tivoli, das zum zehnten Geburtstag des Hauses uraufgeführt wird.

Es ist im Jahre 1941 angesiedelt und ruft weitere schöne, fast vergessene Ausdrücke auf den Plan: „enorm“ ist einer davon. Und auch die Übersetzung von „In the mood“ ins schnöde „In guter Stimmung“ fällt darunter. Die Umstände dieser Bemäntelung sind allerdings nicht im Humorigen zu suchen, denn bekanntermaßen befindet sich Deutschland unter den Nazis im Krieg. Trotzdem floriert der Swing – ein amerikanischer Import, der allein aus diesem Grund verboten ist.

Regisseur und Co-Autor Thomas Matschoß widmet sich in seiner Geschichte den Swing Kids, einer Jugendclique auf St. Pauli. Damit ist er natürlich ganz nah an der Realität dran, denn Hamburg war neben Berlin die Swing-Hochburg Deutschlands. Und am klarsten swingte es sich auf dem Kiez: Rund 20 Clubs spielten hier zwar offiziell deutsche Tanzmusik. Doch kaum waren die Gleichgesinnten unter sich, ging es englischsprachig und schneller zu. Während andere Musicals nach Amerika schweifen, ist Swinging St. Pauli fast so etwas wie eine Liebeserklärung an den Stadtteil. Der liegt nicht nur den Schmidt-Intendanten Norbert Aust und Corny Littmann, sondern auch dem ganzen Ensemble offensichtlich am Herzen: Allein der enthusiastisch vorgetragene Titel ist eine schmissige Nummer, dessen Refrain – „hier geht die Post ab, hier platzt der Rost ab“ – zum Mitsingen taugt und wahrscheinlich zum Ohrwurm der Saison avancieren wird.

Doch worum geht es genau? Die Eckpunkte bilden die schier unerschöpflichen Themen Freundschaft, Liebe und Verrat, zwischen denen Max, Fritz, Heini, Alberta und Beate ihre mehr verspielte als politisch motivierte Jugendkultur leben. Allabendlich treffen sie sich in Leo–s Bar, die Oskar Leonhard am Rande der Legalität betreibt. Hier nämlich spielt die Hausband den verbotenen Swing. Die ernsthafte Wendung kommt mit Emma: Sie bittet den Barbesitzer um Hilfe, denn sie ist Jüdin. Das bleibt jedoch ein Geheimnis. So nimmt denn die Clique Emma herzlich auf, und schnell verbindet sie und Max das Phänomen „Erste Liebe“. Als die ersten Frontbefehle eintreffen, wird es auch für die anderen Jugendlichen dramatisch.

Wer nun schon eine glaubwürdige Widerstandsgeschichte wittert, erwartet allerdings zu viel. Die umfangreiche Recherche der Musical-Macher ergab eher ein unpolitisches Bild der realen Swing Kids: Anstelle des Protestes beschränkten sie sich auf Provokation durch Äußerlichkeiten und eine Affinität zu Anglizismen. Und wie jetzt beim Musical stand die Musik im Vordergrund: „Die waren ganz einfach vom Swing infiziert“, sagt der Max-Darsteller und Songtexter Heiko Wohlgemut. Walzer, Polonaise und anderes, was unter den Nazis als Kultur geduldet wurde, fanden diese Jugendlichen schlicht „langweilig und doof“.

Damit aber auch das heutige Publikum den Swing-Kick nachvollziehen kann, hat Martin Lingnau als langjähriger musikalischer Leiter am Schmidt Theater so etwas wie einen „Swing der Gegenwart“ komponiert, den das Original Tivoli Orchester mit Verve spielen wird: „Wir sind nicht im Sound der 40er Jahre stehen geblieben, sondern legen einen kleinen Zahn zu, was den Rhythmus angeht“, meint Wohlgemut. Für das Regieteam um Thomas Matschoß ist trotzdem klar, dass es nach den erfolgreichen Revues nicht darum gehen kann, „auf Teufel komm raus einen neuen Trend aufzuspüren und dem dann hinterherzulaufen“. So darf sich das Publikum auf eine Show freuen, die der Schmidt-Losung „gutes musikalisches Unterhaltungstheater“ entspricht. Als Premieren-Leckerchen öffnet sich nach kurzer Umbaupause der Zuschauersaal für eine weitere Veranstaltung: eine ausgiebige Swing-Party für alle. 

Premiere: Freitag, 20 Uhr, Schmidts Tivoli