Filmstarts à la carte
: Existenzielle Einsamkeit

Vor etwa zehn Jahren wurde auf dem Filmfest München ein kleines Meisterwerk wiederentdeckt, dass der nahezu unbekannte amerikanische Regisseur Allen Baron 1961 mit einem Budget von nur zwanzigtausend Dollar gedreht hatte. „Blast of Silence“ (Explosion des Schweigens) erzählt die Geschichte des Profikillers Frankie Bono, der im winterlich-weihnachtlichen New York einen letzten Auftrag ausführen will: den Mord an einem Mafioso namens Troiano. Doch Frankie ist unkonzentriert, seine Gedanken schweifen ab, er macht Fehler. Und seine Auftraggeber denken nicht daran, ihn zu bezahlen... Ein Mann mit Hut, Handschuhen und hochgeschlagenem Mantelkragen, seine Silhouette in finsteren Häuserschluchten oder vor dem Hudson-River, Voice-over-Erzählung, dazu fiebrige Jazzmusik: „Blast of Silence“ ist ein Film noir aus einer Zeit, als es eigentlich schon keinen Film noir mehr gab. Eine Studie der existenziellen Einsamkeit eines Mannes, der vor Hass auf die Welt fast birst und sich vor jedem Kontakt mit anderen Menschen fürchtet. Denn: „Jeder, der etwas über dich weiß, ist ein Mitwisser.“ Gedreht wurde auf den Straßen New Yorks, bei natürlichem Licht, oft mit versteckter Kamera. Ursprünglich sollte Frankie Bono vom damals noch unbekannten Peter Falk gespielt werden. Doch dann bekam Falk eine Rolle in einem kommerziellen Film, und der einzige Schauspieler, den sich der Regisseur Allen Baron leisten konnte, hieß: Allen Baron. Trotz seines genialen Meisterstücks war ihm so oder so keine große Karriere beschieden, sein Talent wurde in den 70-er Jahren als Regisseur in Dutzenden Fernsehserien wie „Charlies Angels“ verschwendet.

„Explosion des Schweigens“ 26.8. im Eiszeit 1; 28.8. - 29.8. im Eiszeit 2

D. W. Griffith hielt Orson Welles für einen Deutschen. Möglicherweise war der legendäre Stummfilmregisseur zum Zeitpunkt seiner Äußerung bereits ein wenig senil, doch irgendwie erscheint sein Gedankengang verständlich: Zweifellos kann man Welles als den bedeutendsten Spätexpressionisten der Filmgeschichte bezeichnen. Unter den für Welles üblichen verworrenen Produktionsbedingungen entstand 1962 in Frankreich seine Kafka-Verfilmung „Der Prozeß“. Die Geschichte vom Angeklagten Josef K. (Anthony Perkins), der nicht weiß, was man ihm überhaupt zur Last legt, inszenierte Welles mit perspektivischen Verzerrungen durch Weitwinkelobjektive, tiefenscharfen Einstellungen von albtraumhaften Dekorationen und Klaustrophobie erzeugenden Untersichten: Das Individuum erscheint von allen Seiten bedrängt, terrorisiert von einer mysteriösen Macht, die es nicht begreift.

„Der Prozeß“ 23.8. im Freiluftkino Museumsinsel; 24.8. im Balázs

Ins London der viktorianischen Ära um die Jahrhundertwende führt uns Regisseur David Lynch in seinem ersten größeren Mainstreamfilm. Von der britischen Kamera-Legende Freddie Francis in harschen Schwarzweißbildern brillant fotografiert, erzählt „Der Elefantenmensch“ die von wahren Begebenheiten inspirierte Geschichte des von einer seltenen Krankheit völlig deformierten John Merrick (John Hurt), der sein Leben unter unwürdigen Umständen in einer Freak-Show fristet. Bei einem Arzt (Anthony Hopkins), der ihn eben nicht als Freak, sondern als kranken Menschen betrachtet, findet er schließlich Zuflucht - doch wie einst auf dem Jahrmarkt wird er nun zur fragwürdigen Attraktion der Londoner High Society. Und so drängt sich immer wieder die Frage auf: Wer ist hier eigentlich das wahre Monster?

„Der Elefantenmensch“ 23.8. - 25.8. im Eiszeit 1

Lars Penning