in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über Hannes Linßen

Holozän der Manndeckung

Als ich Hannes Linßen, den Manager des 1. FC Köln, bei drückender Hitze im Geißbockheim besuchte, gab es Mineralwasser zu trinken. Das hatte den großen Vorteil, dass man mit den beiden Fläschchen, den zugehörigen Gläsern und einem Flaschenöffner viel leichter und anschaulicher die Vor- und Nachteile von Viererketten und Dreierblocks in der Abwehr diskutieren konnte. Linßen war früher selbst einmal Trainer in Gütersloh und immer wieder bei Fortuna Köln gewesen, wo auf der Anzeigetafel sein etwas staksig animiertes Konterfei aufleuchtete, wenn das Team ein Tor geschossen hatte. Dann zwinkerte er von dort dem Publikum zu, was gut zu ihm passt, denn nicht nur für die trüben Verhältnisse des Fußballs verfügt Linßen über einen warmen Humor und bemerkenswerte Ironiefähigkeit.

Ganz früher hat Linßen selbst in der Bundesliga gespielt, zwischen 1968 und 1974 war er beim MSV Duisburg ein fleißiges Lieschen im Mittelfeld. Das ist lange her, doch als Linßen davon erzählte, schien er aus dem Holozän oder der Eisenzeit des Fußballs zu berichten. „Gegen Bayern München zu spielen hieß gegen Rainer Zobel zu spielen, und gegen Borussia Mönchengladbach gegen Hacki Wimmer“, sagte er. Gläser und Fläschchen, um Kettenbildungen, Übergeben im Raum oder Verschieben deutlich zu machen, brauchte man damals nicht. Es wurden Pärchen gebildet, und vom Anpfiff bis zur letzten Minute rannten die beiden Verdammten, wie vom Schicksal aneinander geschmiedet, hintereinander her. Nach vorne und nach hinten, von rechts nach links – unablässig, unaufhörlich.

In diese trostlose Zeit fiel auch die Erfindung des Liberos durch Franz Beckenbauer. Weil die anderen Spieler so sehr damit beschäftigt waren, sich gegenseitig zu bewachen, konnte er als freier Mann so weit herrschaftlich durchs Mittelfeld schreiten, bis sich ihm der gegnerische Libero in den Weg stellte. Linßen erinnerte sich noch genau an einen Bericht im „Aktuellen Sportstudio“, als Beckenbauer in den Schlussminuten einer längst gewonnenen Partie gegen Duisburg herbeispazierte und ihn dann locker ausspielte. „Da hieß es dann, das sei ein Beweis seiner Eleganz“, sagte Linßen und lachte. „Dabei waren wir alle schon zwanzig Kilometer gelaufen und der Franz erst zweihundert Meter.“

Das war natürlich eine rechte Übertreibung, doch warum konnte sich eine so primitive Spielweise auch international durchsetzen, wo Italiener, Franzosen und selbst Engländer schon längst wohlorganisiert im Raum verteidigten? Ja, die erste Hälfte der Siebzigerjahre gilt doch gar als goldene Zeit des deutschen Fußballs. Also erzählte Linßen von einem Trainingslager seines Klubs, wo sich auch Olympique Marseille auf die Saison vorbereitete. „Die konnten gar nicht glauben, wie viel wir damals trainiert haben“, sagte er. So einfach war es offensichtlich: Die Deutschen verfügten einfach über mehr Kraft. Vielleicht muss angesichts dessen die Geschichte neu geschrieben werden und dabei nicht so viel über Beckenbauer, Netzer oder Overath, sondern über Wimmer und Vogt, Schwarzenbeck und Höttges, die quasi die ganze Welt in Grund und Boden rackerten.

Die Dinge aber waren nicht festgelegt, so simpel konnte es kaum bleiben. Nicht einmal in der Bundesliga. „Gegen den VfL Bochum haben wir nie gern gespielt“, sagte Linßen, „da wussten wir nämlich nicht, was wir machen sollten.“ Deren Trainer Heinz Höher ließ nämlich schon Anfang der 70er-Jahre mit einer Art Abwehrkette spielen und führte in Deutschland als Erster die systematisch gespielte Abseitsfalle ein. „Knieschonend“ nannte sie das Satiremagazin Titanic damals und schlug ihn für den Friedensnobelpreis vor. Daraus wurde nichts, nicht einmal seinen verdienten Platz im Geschichtsbuch hat Höher einnehmen können, was sicherlich auch einer der Gründe war, weshalb er später Hotelier wurde, Kinderbücher schrieb und heute eine Frauenfußballmannschaft trainiert. Eine schlüssige Mischung für einen, der offensichtlich schnöder Manndeckung entfliehen wollte.

Fotohinweis:Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber