Waffen sammeln mit der Stoppuhr

Ein Teil der Nato-Task-Force Harvest ist in Mazedonien eingetroffen. Bereits bis zum Monatsende sollen die „Erntehelfer“ ein Drittel der Gewehre der UÇK eingesammelt haben, um die geplante Frist einhalten zu können. Doch daran glaubt niemand

aus Skopje ERICH RATHFELDER

Noch landeten gestern Vormittag auf dem Flughafen von Skopje vor allem zivile Maschinen. Am Nachmittag änderte sich das Bild. Gleich nach dem Aktivierungsbefehl für die Task Force Harvest flogen Transportmaschinen der Nato-Truppen in kurzen Abständen ihre Fracht nach Skopje ein. Über 500 französische Soldaten wurden für den Abend in Skopje erwartet.

Und in kürzester Zeit werden auch die Truppen anderer Länder hier in Mazedonien eintreffen. Lediglich bei den Deutschen werden sich Verzögerungen ergeben. Hier muss der Bundestag noch über den Truppeneinsatz beschließen. „Mit den schon jetzt hier anwesenden 500 Mann der Voraustruppen aus Tschechen und Briten und jenen, die jetzt eintreffen, werden wir am Donnerstag vielleicht schon um die 1.000 Mann in Mazedonien haben“, sagt Ariane Gautier, Sprecherin aus dem Nato-Hauptquartier in Brüssel. So schnell wie möglich sollen die Truppen aktiv werden, selbst wenn noch nicht die Gesamtstärke von 3.500 Mann erreicht wird.

Denn die Zeit drängt. Nach dem bisherigen Plan soll die Nato bis zum 31. August ein Drittel der Waffen der albanischen Rebellenarmee UÇK eingesammelt haben. Dies ist die Voraussetzung für das mazedonische Parlament, die ersten vereinbarten Reformen zu beschließen. Gruppen von britischen Spezialisten waren in den letzten Tagen unterwegs. „Wir haben auf lokaler Ebene mit UÇK-Kommandeuren über die Modalitäten der Waffenübergabe verhandelt“, sagt Sergeant Hodges. Über weitere Details will er sich nicht auslassen. Doch bei einer Pressekonferenz im Hotel Holiday Inn in Skopje lässt der Oberkommandierende der Aktion, General Gunnar Lange, durchblicken, dass man von 3.500 Waffen ausgeht, aber erst nach weiteren Evaluierungen die Zahl bestimmen wird.

Die Nato wird in einer ersten Phase etwa 10 Tage Zeit haben, ihre Logistik aufzubauen, um in der Phase zwei, die 30 Tage dauern soll, die restlichen Waffen einzusammeln. In einer dritten Phase werden die Waffen abtransportiert und vernichtet, voraussichtlich in Griechenland.

Gleichzeitig beginnt schon der Abzug der Nato-Truppen. Während dieser Zeit sollen alle bei den Verhandlungen in Ohrid vereinbarten Reformen im mazedonischen Parlament durchgesetzt werden. „Die Aktion ist zeitlich also auf um die 60 Tage begrenzt“, sagt Ariane Gautier.

Doch hinter den Kulissen ist bei den Militärs der Nato Unmut zu spüren. Die gesamte Konstruktion der Aktion behagt ihnen nicht. Denn dass die UÇK alle Waffen, über die sie verfügt, wirklich übergibt, glaubt von den Verantwortlichen niemand. „Würden Sie, wenn Sie Albaner wären, tatsächlich alle Waffen übergeben, um nach Abzug der Nato schutzlos den Angriffen der mazedonischen Armee ausgesetzt zu sein?“, fragt ein Diplomat in Skopje. „Die Mazedonier nutzen jetzt die Zeit und bauen Spezialtruppen auf, die dann eingesetzt werden können.“

„Skorpione“, „Tiger“ und „Wölfe“ heißen die Spezialtruppen, die um die 5.000 Mann umfassen sollen. Zudem formieren sich Paramilitärs, die aus Fußball-Fanclubs oder von nationalistischen Parteien gebildet werden. 7.000 bis 8.000 Mann sollen diese Gruppen mit dem Namen „Schlange“, „Mazedonien 2000“ und „Mazedonien 2001“ unter Waffen haben. Und ihre Mitglieder sind kampfbereit. „Die Nato wird wieder verschwinden, dann werden wir den Krieg richtig führen“, erklärt einer der Polizisten der „Tiger“.

Auch auf der albanischen Seite werden Weichen gestellt. Die geheimnisumwitterte Truppe albanischer Extremisten, die ANA, die den Friedensplan nicht unterstützt, könnte die Auffangorganisation für unzufriedene UÇK-Kämpfer sein. „Sie könnte sogar die Alternative darstellen, sozusagen zur Ersatzorganisation für die UÇK werden“, mutmaßt der Diplomat.

Von beiden Seiten können durch Provokationen Gefahren für die internationale Truppe und den gesamten Friedensprozess ausgehen. Darin sind sich die internationalen Diplomaten einig. Die Task Force Harvest sei nur ein Teil eines größeren Projekts, Frieden in die Region zu bringen, sagt Daniel Speckhard, der in der Region erfahrene Sonderbotschafter des Generalsekretärs der Nato in Mazedonien. Die internationale Gemeinschaft müsse über die Militäraktion hinaus versuchen, die Lage in Mazedonien zu beruhigen und den Bürgern klar machen, dass sie die Chance ergreifen sollen, ihre Probleme mit friedlichen Mitteln zu lösen. Die Botschaft der Nato, „give peace a chance“, müsse die Bevölkerung selbst umsetzen. „Wir geben nur eine Hilfestellung“, bekräftigt Speckhard.

Wie lange die Hilfestellung dauern wird, ist unklar. Trotz der zur Schau gestellten Gewissheit, man werde nur im Rahmen dieser Aktion in Mazedonien bleiben, sind Hintertüren offen. Wenn der Nato-Rat es für notwendig erachtet, wird es in Absprache mit der Regierung eine Verlängerung des Mandats geben. Das ließ gestern nicht nur Nato-Generalsekretär Robertson durchblicken, dies fordern auch Nato-Militärs vor Ort. „Erst wenn die Konfliktparteien nicht mit einem Ende der Aktion rechnen können, werden sie einlenken“, mutmaßt ein hoher Offizier.