Schröder macht es allen recht

In Sebnitz gebe es Rechtsradikale sagt der Bundeskanzler gegenüber Journalisten. Im Rathaus der Stadt selbst ist davon nichts zu hören

aus Sebnitz PATRIK SCHWARZ

Der Kanzler im Rathaus von Sebnitz. Keine drei Meter entfernt von dem Rednerpult, an dem er steht, ist eine Sitzreihe reserviert. „Stadträtinnen und Stadträte“ steht auf dem grünen Zettel. Die SPD-Stadträtin Renate Kantelberg-Abdulla ist nicht gekommen. Dabei kennt sie den Bundeskanzler und SPD-Vorsitzenden bereits aus einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht, von jenem Tag im November 2000, als die Bild-Zeitung die Schlagzeile machte, „Neonazis ertränken Kind. Und eine ganze Stadt hat es totgeschwiegen“. Damals empfing Gerhard Schröder die Mutter des „kleinen Joseph“, wie ihr Sohn bald genannt wurde, in der SPD-Parteizentrale. Doch kurz darauf brach die Anklage der Mutter zusammen, Rechtsradikale hätten ihren Sohn im Freibad ertränkt und halb Sebnitz hätte dabei zugesehen.

Seit dem „Fall Joseph oder auch Fall Sebnitz“, wie Bürgermeister Mike Ruckh von der CDU sagt, hat die Stadt schon Bundespräsident Rau empfangen und Ministerpräsident Biedenkopf. Trotzdem, sagt Mike Ruckh, es komme ja nicht alle Tage vor, dass der Bundeskanzler Sebnitz besuche. „Genauer gesagt, ist es das erste Mal überhaupt.“

Für Schröder ist es der heikelste Termin seiner Sommerreise durch Ostdeutschland, und gehetzt wie auf keiner anderen Station in dieser Woche eilt er durch die Stadt. Der Bundeskanzler hat kein Auge für die „pneumatische Drückmaschine“ in der Seidenblumenmanufaktur, kaum ein Ohr für die Blumenmaid, die ihn begleitet. Er, der sonst gerne ein Pläuschchen mit Passanten hält, legt ein Tempo vor, das verhindert, dass er – und die Journalisten in seinem Tross – auch nur einen Sebnitzer fragen könnte, wie es ihm geht. Hier ist einer gekommen, der nichts wissen will.

Gerhard Schröder behandelt Sebnitz als politisches Problem, und er löst es, wie er Probleme gerne löst: mit dem Versuch, es allen Seiten recht zu machen. Teil eins findet am Vorabend der Sebnitz-Visite statt. Bei einem Abendessen versorgt er die mitreisende Presse mit Sebnitz-kritischen Zitaten, am nächsten Tag im Rathaussaal fallen die Sätze für die Sebnitzer Seelen etwas sanfter aus.

„Selbst wenn der Ort in dem einen Fall ungerechtfertigterweise in Misskredit geraten ist“, sagt der Kanzler am Abend, so könne niemand sagen, dass es dort keine rechtsradikalen Erscheinungen gebe. Aufbrausend wird er bei der Frage, ob er denn Geldgeschenke für die Sebnitzer mitbringe, um etwa verstärkt Jugendarbeit zu finanzieren. „Was soll’s für Hilfe geben? Man muss doch mal die Kirche im Dorf lassen! Wo kämen wir da hin, wenn der Bund anfängt, kommunale Jugendarbeit zu finanzieren!“ Da mag sich bei ihm die Skepsis gegen die Sebnitzer mischen mit der Härte des Fiskalpolitikers, der nicht die Ausgaben von Bund und Kommune vermischen will.

Nachdenklich äußert er sich zum Thema Rechtsradikalimus als medialem Modethema. Er hat nicht ohne Grund letzte Woche den Gedenkstein für den ermordeten Algerier in Guben besucht. „Ich wollte deutlich machen: Ich habe das nicht vergessen – auch wenn es nicht meinen Alltag bestimmt.“

In Schröders Rede im Rathaussaal sind die Sebnitzer in erster Linie Opfer. „Man muss ohne Wenn und Aber feststellen, dass dieser Stadt und ihren Bürgern durch pauschale Vorwürfe bitteres Unrecht angetan wurde.“ Der Rechtsradikalismus sei nicht nur in Ostdeutschland ein Problem. Zweimal sagt er so den Sebnitzern, was sie gerne hören. Doch dann nimmt er Renate Kantelberg-Abdulla in Schutz. Wer könne einer Frau, die ihren Sohn verloren hat, vorwerfen, wenn sie die Schuld auch bei anderen suche. „Wer sind wir, dass wir das in einer solchen Situation anklagend sagen können?“, sagt der Kanzler – und die Anspielung auf die Bibel dürfte Absicht sein: Wer frei ist von Schuld, der werfe den ersten Stein.

Bleibt Schröders eigene Verstrickung. Da findet der Kanzler nicht zu klaren Worten. Am Abend hatte er sein Treffen mit Renate Kantelberg-Abdulla mit dem Hinweis gerechtfertigt, es sei für ihn als SPD-Vorsitzenden „eine blanke Selbstverständlichkeit“, ein Parteimitglied in Not zu empfangen. Die Vorwürfe der Mutter, klagt er dagegen im Rathaus, hätten leider dazu geführt, dass „diejenigen, die über öffentliche Kommunikation verfügen“, den Sachverhalt nicht mit hinreichender Sorgfalt geprüft hätten. War das nun eine Medienschelte? Oder eine Selbstkritik? Immerhin gilt auch für den Bundeskanzler, dass er „über öffentliche Kommunikation verfügt“. Mal wieder gelingt es Gerhard Schröder durch vorsätzlich vage Worte alles zu sagen – und nichts.