Der Kanzler in Sebnitz

Gerhard Schröder besucht die Stadt in Sachsen, die von sich sagt, dass ihr durch die Öffentlichkeit Unrecht geschehen sei. Eine Entschuldigung hören die Sebnitzer nicht – sondern den Aufruf, sich gegen Rechtsradikalismus zur Wehr zu setzen

BERLIN taz ■ Der gestrige Aufenthalt von Kanzler Schröder in Sebnitz war kein Anstandsbesuch in einer geschundenen, weil in Verruf geratenen Stadt, sondern eine heikle diplomatische Mission. Und die Fragen im Vorfeld lauteten: Wie tief würde seine Verneigung vor den Bürgern des Städtchens in der Sächsischen Schweiz sein? Was seine Botschaft? Wie hoch eine mögliche finanzielle Wiedergutmachung, nachdem der Kanzler im November vergangenen Jahres Renate Kantelberg-Abdulla persönlich empfangen hatte. Jene Frau, die für ein paar Tage mit den Vorwürfen in die Schlagzeilen geraten war, ihr Sohn Joseph sei unter den Augen zahlreicher Badegäste im Schwimmbad von Rechtsradikalen getötet worden.

Über den lang ersehnten Besuch des Kanzlers können die Stadtväter von Sebnitz alles andere als zufrieden sein. Denn das erwartete Geld zur Wiedergutmachung des vermeintlichen Imageschadens aus Bundesmitteln gibt es nicht. Stattdessen machte Schröder höflich klar, was ihm in Sebnitz fehlt – Zivilcourage gegen rechts. Diplomatisch geschickt lobte er die Sebnitzer nicht für ihr Engagement gegen den Rechtsradikalismus, sondern rief sie vielmehr dazu auf, sich gegen jede Form rechtsradikaler Umtriebe zu wehren. Darüber hinaus, so der Kanzler, müsse der feste Wille erkennbar sein, „zusammen mit allen anderen“ solchen Entwicklungen entgegenzutreten.

Erwartungsgemäß betonte Schröder, dass den Bürgern durch die Medienberichterstattung zunächst Unrecht geschehen sei. Im gleichen Atemzug erinnerte er allerdings daran, dass die Betroffenen sich öffentlich entschuldigt hätten. Er forderte die Sebnitzer dazu auf, „nicht in die Vergangenheit zu schauen, sondern nach vorne“.

Schröders Auftritt in Sebnitz war eine recht deutliche Kritik an dem Opfermythos, den die Stadtväter von Sebnitz seit Monaten pflegen. Nicht nur, dass sie ein anhaltendes „Mea culpa“ von Zeitungen wie der taz einklagen, die fälschlicherweise „Badeunfall erweist sich als rassistischer Mord“ titelte. Sebnitz hat auch präzise Vorstellungen davon, wie hoch eine angemessene Entschädigung für angeblich erlittenes Unrecht ausfallen müsste. 34 Millionen Mark haben die Ratsherren im Februar gefordert, um das Ansehen der Stadt wiederherzustellen. 10 Millionen haben sie bislang vom sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf zugesagt bekommen.

Die Art, wie Sebnitz an der Gewinn bringenden Legende der bösen Medien und des imperialen Westens strickt, der den Osten Deutschlands angeblich als Naziland stigmatisiert, lässt die Stadt zu einem Symbol einer verwirrten Moral werden. Schröder hat dieser unangenehmen Entwicklung durch die Art seines Auftritts Rechnung getragen.

EBERHARD SEIDEL

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