Aufbruch in schwierigem Umfeld

Die Internationale Funkausstellung (IFA) soll den Herstellern von Unterhaltungselektronik auf die Sprünge helfen. Der Branche macht die Konjunkturflaute zu schaffen. Neuentwicklungen sollen Trend umkehren. Berlin will sich als Medienstadt profilieren

Wermutstropfen: Es ist nicht gelungen, die Privatfernsehsender zurückzuholen

von RICHARD ROTHER

Wie das Wetter ist die Stimmung nicht. Während ein stabiles Hochdruckgebiet der Hauptstadt einen wunderbaren Spätsommer beschert, sind am konjunkturellen Himmel dunkle Wolken aufgezogen. Über dem Messegelände am Funkturm, wo am Samstag die Internationale Funkausstellung (IFA) beginnt, sind sie kaum zu übersehen. Die Unterhaltungselektronik-Branche, die längst der ehemaligen Fernsehmesse ihren Stempel aufgedrückt hat, blickt auf ein schwach verlaufenes erstes Halbjahr zurück. Der Branchenumsatz ist um rund 5 Prozent gesunken – mehr als erwartet.

Dennoch übt man sich in Zweckoptimismus. „Die IFA wird sich erneut als Konjunkturlokomotive erweisen“, sagt Rainer Hecker von der Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik. Gemessen an den jahreszeitlichen Rythmen der Branche und den schwachen Vorgaben der ersten Monate ist das durchaus glaubwürdig: die Firmen machen rund die Hälfte ihres Jahresumsatzes während des Herbst- und Weihnachtsgeschäftes. Die mit großem Tamtam präsentierten Neuheiten auf der IFA sollen bei den Besuchern Interesse und Kaufwünsche erzeugen. So könnte der Jahresumsatz der Branche sogar noch leicht steigen: von 39,6 auf 39,9 Milliarden Mark.

Bei den Geräten der Unterhaltungselektronik setzen sich die bisherigen Trends der Digitalisierung fort: größer und flacher oder kleiner und leistungsfähiger. Mit der IFA 2001 werden erstmals DVD-Rekorder auf dem europäischen Markt erscheinen – Geräte, bei denen man zu Hause Videos in digitaler Qualität aufzeichnen kann. Das Problem: Sie erscheinen in mehreren Varianten und sind sehr erklärungsbedürftig. Derzeit gibt es vier verschiedene DVD-Varianten, die alle als Videoaufzeichnungsmedien in Frage kommen und von der Industrie auch so genutzt werden. Welcher Standard sich durchsetzt, ist aber offen.

Nach wie vor ungeklärt ist auch der Standard beim digitalen Fernsehen. Hohe Erwartungen knüpfen sich dabei an die MHP-Box, eine Set-Top-Box mit dem Betriebssystem der Multimedia Home Platform. MHP wird zur IFA offiziell eingeführt. Die europäische Industrie hat das System entwickelt, das den Streit um das richtige Betriebssystem für das digitale Fernsehen beenden soll. Unterstützt wird MHP von der ARD, der Europäischen Rundfunkunion (EBU) und der EU-Kommission. Mit der MHP-Box, die Rundfunk und Internet verbindet, könne die „digitale Spaltung der Gesellschaft verhindert werden“, sagt EBU-Chef Arne Wessberg. Voraussetzung ist allerdings, dass alle Programmanbieter, Endgerätehersteller und Netzbetreiber diesen Standard einheitlich einsetzen. Das ist längst nicht absehbar – schließlich verfügen Firmen, die einen technischen Standard setzen, langfristig über eine ungeheure Marktmacht. Darauf möchte niemand verzichten, in Deutschland beispielsweise tummelt sich Kirch mit seiner D-Box auf dem Markt.

Die IFA will diesmal die Bescher nicht nur mit neuen Wunderwerken der Technik locken, sondern auch mit einem besonderen Event: der IFA-Night. Mit der Extraparty mit allerlei Show-Einlagen am 31. August wollen die Veranstalter offenbar für die klassischen Ladenöffnungszeiten der Messe entschädigen. Ob das die Besuchermassen anlockt, bleibt indes zweifelthaft. Die IFA 1999 musste bereits einen Besucherrückgang hinnehmen. Rund 400.000 Interessierte fanden damals den Weg zum Funkturm – rund 25.000 weniger als zwei Jahre zuvor.

Messesprecher Reinhard Bank bleibt gelassen. „Die IFA ist keine reine Publikumsshow, sondern auch eine Ordermesse.“ Deshalb komme es auf die Besucherzahlen allein nicht an. Wirtschaftlich werde die IFA sicher ein Erfolg, so Bank. Bis zu vier Milliarden Mark dürften in der einen Messewoche umgesetzt werden. Zudem hätten sich mit mehr als 900 Ausstellern so viele angemeldet wie nie zuvor. Vom Tisch sei allerdings die Diskussion, die Messe jährlich auszurichten. „Die Aussteller wollen das nicht.“

In Berlin bedauert das mancher. Schließlich bringen die IFA-Besucher – rund die Hälfte kommt von außerhalb – viel Geld in die Stadt. Rund 270 Mark täglich lassen die auswärtigen IFA-Interessierten im Durchschnitt an der Spree. Der Tourismus ist in der Wirtschaftsbrache Berlin einer der wenigen Wachstumsbranchen.

Einen Wehrmutstropfen müssen die Veranstalter dennoch schlucken. Ihnen ist es nicht gelungen, die Privatfernsehsender zurückzuholen. „Die Türen stehen nach wie vor offen“, sagt Messesprecher Bank. Vor zwei Jahren waren die Privaten erstmals weggeblieben. Das Engagement habe sich nicht mehr gelohnt, hieß es damals. Die Messe hatte ihre Schuldigkeit getan, im Unterschied zu den Achtzigerjahren wurde die IFA nicht mehr gebraucht, um die Privatsender bekannt zu machen. Die kennt mittlerweile jeder – nicht erst seit dem Hickhack um die Sat.1-Fußballshow „ran“.

Bis zu vier Milliarden Mark dürften in der einen Messewoche umgesetzt werden

Für die Berliner Medienbranche bleibt die IFA dennoch das Highlight schlechthin. „Ein Hochgefühl, wenn sich jetzt wieder alle Kameras nach Berlin drehen“, sagt Bernd Schiphorst, Medienbeauftragter von Berlin und Brandenburg. Die aktuelle Statistik weist für das Jahr 1999 insgesamt 8.800 Unternehmen mit über 100.000 Beschäftigten im Medien- und Kommunikationssektor aus – ein Wachstum von 15 bis 20 Prozent im Vergleich zu 1997. Zumindest im Bereich neue Medien ist dieser Trend auch in der Hauptstadt passé. Kleine Internetfirmen machen dicht – wie in anderen Regionen der Welt auch. Und die großen kündigen Konsolidierung und Personalabbau an. Erst in dieser Woche hat I-D Media seinen rund 400 Mitarbeitern Aufhebungsverträge angeboten.

Die von den Grünen nominierte Wirtschaftssenatorin Juliane Freifrau von Friesen sieht sich schon genötigt, den kriselnden New-Economy-Firmen ein Unterstützungsprogramm anzubieten. Die Wirtschaftsverwaltung will in den nächsten Wochen gezielt auf rund 150 Start-ups zugehen, um bei der Lösung anstehender Probleme zu helfen. Dazu gehört die Vermittlung von günstigen Krediten, Risikokapital und Bürgschaften. „Wir müssen die Krise als Chance begreifen“, so von Friesen. Die bereit gestellten Zusatz-Mittel in Höhe von 3 Millionen Mark nehmen sich allerdings bescheiden aus – manch Ausbau der superschicken Bürolofts im Szenebezirk Mitte dürfte ein Vielfaches gekostet haben.

Überhaupt sind fehlende Subventionsmöglichkeiten ein klassisches Problem in der chronisch klammen Hauptstadt – auch bei der Förderung der Medienwirtschaft. „Wir haben vielleicht weniger Geld als andere Regionen“, sagt der Chef der Filmboard Berlin-Brandenburg Klaus Keil. „aber dafür eine magische Anziehungskraft.“ Zwar sei der in Potsdam-Babelsberg gedrehte Film „Enemy of the Gates“ in Deutschland ein Flop, international sei er aber sehr erfolgreich gewesen. Das Großprojekt habe der Region rund 55 Millionen Mark und einen unschätzbaren Image-Gewinn gebracht. „Babelsberg ist nicht Hollywood.“ Dennoch hätten jetzt namhafte Produzenten ein Auge auf die Region geworfen.

Tatsächlich geht es der Film- und Fernsehwirtschaft der Hauptstadt, im Unterschied zu den neuen Medien, relativ gut. Auch die Musikindustrie kann nicht klagen. Der Universal-Umzug von Hamburg nach Berlin-Friedrichshain ist ein Riesenerfolg der Hauptstadt im Konkurrenzkampf mit anderen Medienmetropolen der Republik. Vielleicht ein wichtigerer als die Ausrichtung der langsam in die Jahre kommende Internationalen Funkausstellung.