Preisbrecher gibt es nicht mehr

Liberalisierung des Strommarktes führte in Schweden nicht zu mehr, sondern zu weniger Wettbewerb. Die verbliebenen Großkonzerne bilden offenbar ein Kartell, die Preise für Kunden verdoppelten sich innerhalb eines halben Jahres

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Was vor fünf Jahren als Wohltat für den Geldbeutel der schwedischen Konsumenten begann, entwickelt sich zum Horror: Die Liberalisierung des Strommarktes ließ zwischen 1998 und 2000 rekordniedrige Stromnettopreise von 12–14 Öre fallen – rund 3 Pfennig je Kilowattstunde. Doch das ist Vergangenheit. Binnen sechs Monaten hat sich der Strompreis jetzt auf 29,3 Öre mehr als verdoppelt – und das im verbrauchsarmen Sommer.

Siebenmal haben die großen Stromkonzerne seit Jahresanfang die Preise heraufgesetzt. Im auffallenden Gleichschritt: oft am gleichen Tag, manchmal bis zur Stelle hinter dem Komma gleich. Weil die Regierung sowieso gerade dabei war, die Preisbildung auf dem Benzinmarkt zu untersuchen, setzte sie auch eine Strompreis-Kommission ein.

Unzureichende Konkurrenz und Kartellbildung vermuten KritikerInnen als Ursache der konzertierten Verteuerungen. Anhaltspunkte dafür fehlen nicht. Weder Stromproduktion noch -nachfrage lassen nennenswerte Ausschläge im Vergleich zum Vorjahr erkennen. Es herrscht die übliche sommerliche Überproduktion. Die Stauseen der Wasserkraftwerke, die für die Hälfte der Stromproduktion stehen, sind wohl gefüllt. Winterliche Engpässe zeichnen sich nicht ab. Das Einzige, was anders ist, sind die Gewinne der Konzerne, die steil stiegen.

Nach Analyse der marktwirtschaftsfreundlichen Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter wandern die „Preiserhöhungen direkt in die Gewinnkassen“ der Konzerne. Die das natürlich ganz anders sehen und auf die Kursentwicklung der nordischen Strombörse „Nordpool“ in Oslo verweisen. Tatsächlich sind dort die Strompreise geklettert. Doch diese Strombörse ist nichts anderes als ein Werkzeug der Konzerne: Sie bieten dort mit ihrer Produktionshand an, kaufen mit ihrer Handelshand wieder ein und steuern so die Kursentwicklung nach eigenem Gutdünken. Voraussetzung: Einigkeit der Konzerne. Was tatsächlich zutrifft. Die Akteure haben so gut wie alle Konkurrenten geschluckt, können als Kartell die Marktentwicklung frei bestimmen.

Bildeten Mitte der Neunzigerjahre rund 200 überwiegend regionale und kommunale Anbieter auf der Anbieterseite den Einzelhandelsmarkt für die StromkonsumentInnen, beherrschen jetzt drei Konzerne mehr als 75 Prozent: Vattenfall, Birka und Sydkraft. Schwedisch ist davon nur noch Vattenfall. Sydkraft ist im Mehrheitsbesitz der deutschen Eon, Birka gehört der finnischen Fortum. Ein Großteil der verbliebenen kleinen Anbieter sitzt entweder auf den Knien der norwegischen Konzerne Statoil und Statkraft oder ist nur dem Namen nach selbstständig.

Preisbrecher, die vor Jahren den Strompreis noch kräftig drückten, sind aufgekauft. Ein Konzentrationsprozess, der allerdings auch dadurch erleichtert wurde, dass die SchwedInnen beim Anbieterwechsel recht zurückhaltend waren. Nur zehn Prozent machten davon Gebrauch, für Volkswirtschaftsprofessor Lars Bergman ein Grund für die Situation.

Ungenutztes Wechselpotenzial decken „Scheinfirmen“ von Vattenfall und Sydkraft ab. Unter zwölf anderen Namen bieten sie über Internet Strom feil. Kürzlich wurde die kleine „Nora Energie“ als Preisbrecher gefeiert. Tatsächlich ist sie aber Teil des „Sydkraft“-Konzerns. Vattenfall leistet sich mit „Abonnera“ einen Preisbrecher mit 25 Prozent niedrigeren Preisen. Man wolle auch „aktiven Kunden“ eine Alternative bieten, begründet Vattenfall das Spiel mit gezinkten Karten. Doch offenbar sollen diese Scheinfirmen vor allem Angebotsvielfalt und einen funktionierenden Markt vorspielen, den es faktisch nicht mehr gibt.

Da dieses Kartell – Roger Fredriksson spricht bereits von einem Oligopol – über neue einheimische Anbieter kaum aufgebrochen werden kann, bleibt als Hoffnung für die KonsumentInnen nur ausländische Konkurrenz. Die ist allerdings nicht in Sicht: Schon jetzt sind Konzerne aus Norwegen, Finnland und Deutschland fest im Kartell eingebunden. Derzeit sei noch nicht aktuell, eine Art von staatlicher Preisregulierung einzuführen, erklärte Karin Widegren, zuständige Abteilungsleiterin beim schwedischen Wirtschaftsministerium. Allein dass man sich dort aber mit dieser Möglichkeit beschäftigt, deutet an, wie problematisch die Regierung die Liberalisierung beurteilt.