Blaugelb wird die Hansestadt

Rot oder nicht Rot ist die Gretchenfrage bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg in vier Wochen. Beantwortet wird sie von Untoten, die mit allen Mitteln an die Macht wollen. Eine Analyse von  ■ Sven-Michael Veit

Sie sind wieder unter uns.

Sie planen den Umsturz, sie wollen die Macht im Stadtstaat. Die so häufig totgesagte FDP droht mit der Wiederauferstehung. Und die Chancen der Polit-Zombies aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft stehen, so will es vier Wochen vor der Bürgerschaftswahl scheinen, nicht schlecht: Zwischen sieben und zehn Prozent sagen Umfragen ihnen voraus, und natürlich wollen sie, das steckt Blaugelben offenbar in den Genen, sogleich regieren. Mit wem, ist zweitrangig. Aber auch nur ihnen.

Wenn die Nacht hereingebrochen sein wird über Hamburg am Wahlabend des 23. September, dann werden – dies das wahrscheinlichste aller Szenarien – Konteradmiral a.D. Rudolf Lange und seine Crew eine gute Flasche Wein decantieren und die eingehenden Angebote sichten. Zwei ernstgemeinte werden auf dem Markt sein, und die selbsternannten Hüter des freien Spiels der Kräfte werden sich das bessere aussuchen. Noch ein bisschen feilschen, ist doch das Rabattgesetz passé, und dann wird die Partei nach acht bitteren außerparlamentarischen Jahren sich der Regierungsverantwortung stellen.

Obwohl sie, dies das Augenfälligste, in dieser Zeit zwar die Zierde ihres Kürzels, die Pünktchen, verloren, aber kein bisschen Profil hinzugewonnen hat. Auf der Westerwelle will die Partei der programmatischen Beliebigkeit ins Senatsgehege surfen. Nach oben, lautet der klare Kurs der Admirals-Crew. Und dafür ist jede helfende Hand an Bord willkommen, ob rot, ob schwarz, ob schwarzbraun wie die Haselnuss, die Heino einst besang: Blaugelb wird die Hansestadt.

Jedes Mittel Recht,

um endlich an die Macht zu kommen, ist auch Hamburgs Christdemokraten. Nach 44 langen Jahren auf harten Oppositionsbänken ist „der Wechsel“ als solcher das Ziel. Die Option auf eine Große Koalition ist blanke Theorie, denn Juniorpartner des anderen wollen weder SPD noch CDU sein. Doch nur gemeinsam mit FDP und Schill kann die Union in den Senat kommen, denn programmatisch hat sie wenig zu bieten, und demoskopisch verharrt sie im Tal der Leiden.

Ihren wirtschaftspolitischen Offenbarungseid musste die CDU in der Bürgerschaft schon unzählige Male leisten, macht doch der amtierende Senat im Grundsatz die Standortpolitik, welche sie selbst gern machen würde. Im gleichen Dilemma steckt sie bei den Finanzen und auf dem Arbeitsmarkt. Was bleibt, ist das Schüren von Emotionen: Das Zerreißen des von Sozialdemokraten gewebten Filztuches, das Hätscheln der angeblich von rot-grünen Ideologen geknechteten Autofahrer und das Beschwören der Inneren Verunsicherung.

Der Wahlkrampf der niederen Instinkte will so recht aber nicht verfangen. Bei den 30 Prozent, welche die Christenunion vor vier Jahren erzielte, stagniert sie noch immer. Keine Stimme, so die Umfragen, ist hinzugekommen, die Sympathiewerte für ihren Möchtegern-Bürgermeister Ole von Beust hingegen liegen um gut ein Drittel höher. Kein Wunder, dass die Union nun, in der heißen Phase vor dem Urnengang, voll auf ihren Kandidaten setzt, voll auf den Personenwahlkampf des Herausforderers gegen den sozialdemokratischen Titelverteidiger Ortwin Runde.

Gegenüber den Freidemokraten hat der Freiherr keinerlei Berührungsängste, mit Schill sieht das schon anders aus. Doch da kommt der Druck von unten. Ortsverbände der CDU waren es, die Schill voriges Jahr mit Einladungen in proppenvolle Vereinsheime salonfähig machten. Der Kandidat beugte sich der Basis nicht ohne Widerwillen, aber mit Kalkül. Den Ungeist Schill, den er nicht gerufen hat, auf den er aber angewiesen ist, muss er eben im Zaume halten, lautet nun seine Losung. Wer an den Wechsel glaubt, darf sich auch einbilden, Berge versetzen zu können.

Unpolitisch bis ins Mark

ist der Mann, ohne den Rote und Grüne in satter Selbstzufriedenheit weiterwurschteln dürften. Ronald Schill hat das politische Koordinatensystem durcheinandergewirbelt in einem Stadtstaat, den er als „Hauptstadt des Verbrechens“ zu schmähen nicht müde wird. Außer einer harten Hand hat er nichts zu bieten, was auf eine politische Linie schließen lassen würde. Wahrscheinlich bringt gerade das zumindest einen Teilsieg.

Seine Ein-Mann-Truppe „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ ist das Sammelbecken der Spießbürger. Hier tummeln sich die Kleinen Männer von der Straße und die Schwadronierer von den Stammtischen, die Unzufriedenen und die Enttäuschten eben, die es denen da oben endlich mal zeigen wollen. Die aus dem einst sozialdemokratischen SAGA-Milieu heben für Schill den Finger, christdemokratische Hardliner, denen ihre Partei viel zu lax ist, gesellen sich dazu und die Gestalten vom rechten Rand.

Es sind die dumpfen Stimmen und Stimmungen, denen Schill Gesicht und Gewicht verleiht, die der von Geltungssucht und missionarischem Eifer getriebene Rechtspopulist akzeptabel macht für weite Teile des bürgerlichen Spektrums, die jeden Flirt mit Rechtsextremen empört von sich weisen würden. Zehn Prozent, vielleicht zwölf werden Schill prognostiziert, der Einmarsch in die Bürgerschaft darf als sicher gelten.

Fürs Regieren, für den persönlich angestrebten Posten des als Innensenator getarnten Richters und Henkers aber braucht er CDU und auch FDP. Schon frühzeitig reanimierte Schill dafür den Begriff „Bürgerblock“ aus der Epoche des kleinbürgerliches Miefs: Jenes kurzlebige Konstrukt aus CDU, FDP und rechtskonservativer Deutscher Partei bildete von 1953 bis 1957 den einzigen SPD-freien Senat in der Nachkriegsgeschichte Hamburgs. Eine Chaos-Koalition, die unfreiwillig den Grundstein für die seitdem währende sozialdemokratische Dauerregierung legte.

Zwischen den Fronten

zerrieben werden die Rechtsradikalen, die Statt Partei und – im Gegensatz zu diesen: bedauerlicherweise – auch der Regenbogen.

DVU, NPD und Republikaner, die vor vier Jahren zusammen auf rund acht Prozent kamen, wobei die DVU mit allein 4,97 Prozent nur haarscharf an Parlamentsmandaten vorbeischrammte, werden des allergrößten Teils ihrer WählerInnen verlustig gehen: Aus rechtsextremen Schmuddelkindern werden Schill-Bürger.

Für die Statt-Partei des umtriebigen Multimillonärs Jürgen Hunke ist ebenfalls kein Platz mehr. Der bürgerlichen Protestpartei der frühen 90er, vor vier Jahren aus rot-grauem Senat auf 3,5 Prozent abgestürzt, lassen CDU und FDP keinen Spielraum mehr. Die gesellschaftliche Entwicklung hat den stattlichen Anachronismus überholt.

Aber auch für den Regenbogen wird es keine Zukunft in der Bürgerschaft geben. Die Gruppe, die sich vor über zwei Jahren von der real-regierenden GAL abspaltete und in die linke Opposition ging, ist eine Kopfgeburt ohne gesellschaftliche Basis geblieben. Die Hoffnung trog, das linke, alternative, intellektuelle Milieu dieser Millionenmetropole zu sammeln, die Fünf-Prozent-Hürde scheint unerreichbar. Was vom Regenbogen bleibt, sind viele richtige Fragen, auf die es kaum jemals zufriedenstellende Antworten gab.

Das Problem von Rot-Grün

ist ein simples. SPD und GAL müssen sich an ihren Taten messen lassen, bei ihren Konkurrenten reichen Worte. Und so müssen sie sich dem Urteil stellen, dass der beste Senat, den Hamburg seit Jahrzehnten hatte, dennoch ein schlechter Senat ist. Die Hamburger Ehe verblasst gegenüber dem menschenunwürdigen Umgang mit MigrantInnen, die Naturschutzkosmetik kann Altenwerder und Mühlenberger Loch nicht überschminken, Bildungs- und Sozialpolitik, die diese Namen verdienten, sind kaum mit der Lupe zu finden, auf den Straßen dominiert weiterhin die Verkehrtpolitik auf vier Rädern. Und gescheitert ist auch der Versuch der SPD, in letzter Minute mit Brechmitteln zu reüssieren.

So bleibt ihr und auch der GAL wenig mehr als die nicht unzutreffende Warnung davor, dass mit den anderen alles noch viel schlimmer würde: Der Bürgerblock als Wür-gerblock. Doch der Aufruf an die WählerInnen, sich für das kleinere Übel auszusprechen, vermag verständlicherweise wenig Begeisterung auszulösen.

Den Sozialdemokraten droht bei Umfragewerten um die 35 Prozent nicht nur das Verharren auf dem historischen Tiefstand. Vor vier Jahren reichte ihr schlechtestes Wahlergebnis aller Zeiten von 36,2 Prozent nicht aus, sie von den Senatsbänken zu vertreiben, dieses Mal könnte das nahezu Unvorstellbare eintreten. Und die Grünen, denen mit zehn bis elf Prozent der Verlust eines Viertels ihrer 97er Stimmen – damals erreichten sie mit 13,9 Prozent ihren historischen Höchststand – prognostiziert wird, drohen nach nur einer Legislaturperiode zur flüchtigen Episode zu werden.

Die Mobilisierungseffekte, die Rot und Grün zum Weiterregieren brauchen, müssen jetzt eintreten. Hervorgerufen sollen sie werden durch die Verschärfung des Lagerwahlkampfs, den SPD und GAL schon seit Monaten führen. Die Sozialdemokraten haben dabei vor allem die CDU – den altgewohnten Gegner – und Schill im Visier; mit der FDP hingegen gehen sie auffallend schonend um. Man weiß ja nie, ob man die nicht noch braucht, und eine Ampelregierung mit GAL und FDP schreckt echte Sozialdemokraten nicht. Bislang haben sie noch jeden Koalitionspartner – ob gelb, grau oder grün – klein gehalten; da können sie, so ihr Kalkül, auch deren zwei gegeneinander ausspielen.

Die GAL hingegen, ohne politische Alternative festgekettet an der SPD, baggert an ihrer linken Flanke um Stimmen und prügelt nachhaltig auf die Freidemokraten ein. Wer aus Missmut über vier mattgrüne Jahre den Regenbogen wähle, stärke faktisch Schill, lautet das eine Argument. Und eine FDP, die ohne Skrupel den Pakt mit dem Rechtspopulismus einzugehen gedenke, sei das Gegenteil von liberal. Könnte die FDP, dies die grüne Hoffnung, doch noch aus der Bürgerschaft ferngehalten werden, hätten von Beust und Schill keine Mehrheit.

Nicht blaugelb würde dann die Hansestadt werden , sondern rot-grün bleiben, und alles würde gut.

Hoffentlich auch besser.