Verwirrte Esser

Deutschland hat seinen 101. BSE-Fall. Trotzdem wird wieder so viel Fleisch gegegessen wie vor Jahren - fast so als hätte es den Virus nie gegeben

Irgendwann nach dem 40. BSE-Fall hörte es auf - das Interesse. Schlagzeilen zu infizierten Tieren landeten nur noch in der Kurzmeldungs-Spalte. Und überhaupt wurde wieder so viel Rindfleisch gegegessen, als hätte es BSE nie gegeben. Diese Woche wurden beinah gleichzeitig der 100. und der 101. Fall bekannt - ein Meilenstein, der das Ende der deutschen BSE-Angst kennzeichnet.

In Bremen geht nämlich fast alles wieder seinen alten gewohnten Gang. Die hiesige Fleischwarenfabrik Könecke beispielsweise hatte vor neun Monaten Rindfleisch aus ihren Würsten verbannt. Jetzt überlege man - in Kooperation mit dem Handel - wieder umzustellen. „Wir sind zuversichtlich, dass sich das normalisiert“, sagt Heinz Lotze, zuständig für Marketing und Einkauf. Inzwischen gebe es erste Signale auf dem Markt, dass auch Rindfleisch-Würste wieder Absatz fänden.

Beim Schlachthof Bremen-Nord dagegen hat sich - mit Ausnahme der BSE-Tests - schon seit einem Vierteljahr wieder Normalität eingestellt. „Der Rindfleischkonsum hat gewaltig zugenommen“, sagt der Vieh- und Fleischkaufmann Karsten Otten. 50 bis 60 Rindviecher werden dort pro Woche gschlachtet - genauso viele wie vor der BSE-Krise. „Es macht wieder richtig Spaß.“

Der Schlachthof in Vegesack liefert direkt an die Fleischereien, und auch da ist Rindfleisch wieder stark gefragt - zu Lasten vor allem von Putenfleisch, das zur BSE-Zeit Hochkonjunktur hatte. Der Konsum von Schweinefleisch dagegen blieb weitgehend konstant.

Überrascht vom schnellen Ende der BSE-Anfragen sind aber vor allem die Ernährungsberaterinnen der Bremer Verbraucherzentrale. „Selbst Jahre nach Tschernobyl gab es noch Anfragen zu Wildpilzen.“ BSE war bloß für ein paar Monate richtig virulent: Eine Verzehnfachung der Anrufe bei der Verbraucherzentrale. Bei der Flut der Berichterstattung konnte man glauben, auch das individuelle Risiko sei hoch, erklärt die Verbraucher-Schützerin Irmgard Czarnekki. Aber dann kamen keine Erkrankungen an Creutzfeld-Jakob. Dann kam die Maul- und Klauenseuche (MKS). Dann war schon Ostern. Und danach war irgendwie ganz schnell Ruhe.

Mit Ernährung-Umstellung und der dafür notwendigen Konstanz ist das nämlich so eine Sache. „Fehler in der Ernährung zeigen sich nicht sofort“, meint Czarnecki. Und solange einem vom Rindfleisch-Konsum nicht gleich schlecht wird, wird munter weiter gegessen. Erst wenn es in Deutschland erste Todesfälle an Creutzfeld-Jakob gibt, könne es wieder eine BSE-Krise geben.

Zu viele Lebensmittelrisiken sorgen im Moment offenbar nur dafür, dass sich Verbraucher komplett davor abschotten, meint auch Regina Aschmann, Beraterin bei der Verbraucher-Zentrale. Schon mit der nächsten Tierseuche und dem Buchstaben-Kürzel MKS löste sich die Angst vor BSE ein bisschen auf.

„Deutschland hat aber schon ein bisschen was von BSE gelernt“, glaubt Czarnecki. Allerdings nichts spektakuläres: Der Absatz von Biolebensmitteln habe sich zum Beispiel auf etwas höherem Niveau stabilisiert. Inzwischen gibt es selbst in Gröpelingen im Supermarkt Biobutter. Und offenbar wird das dort auch gekauft.

Für die Ernährungsberater heißt das: Sie müssen an die Supermärkte ran, um langfristig ein Umdenken im Hirn der Verbraucher bewirken zu können. Im Herbst will man die Handelsketten an einen runden Tisch holen, um Produkte aus der Region besser zu vermarkten. Außerdem will die Verbraucherzentrale weg von der an Notfällen orientierten Aufklärung und individuellen Beratung. Das Ziel: Eine neue alte Esskultur. Mit Kochen. Mit Genießen. Und womöglich auch mit Rindfleisch.

Dorothee Krumpipe

Zur Zeit informiert die Verbraucherzentrale zusammen mit der Stadtbibliothek mit einer Infoschau über die „wertvollste Ess-Klasse“. Rund um das Theme Essen gibt es unter anderem Geschmackstests