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: HELMUT HÖGE übers Glück

Wer ständig strebend sich bemüht

Das Presse-Café am Bahnhof Zoo, in dem nie Journalisten sitzen, dafür jedoch ältere Zivis, die dort im Trockenen die Fixerscene am U-Bahn-Ausgang beobachten, sowie junge lateinamerikanische Schwarze im US-Ghetto-Chic gekleidet – sie betreiben nebenan eine Disco und hier sitzen sie meist, wenn sie mal wieder einen der Teenager, die sie umschwärmen, trösten müssen . . . Im Presse-Café, das wollte ich sagen, ist immer was los.

Neulich kam Egon – vom Bahnhof Friedrichstraße rübergehuscht, das heißt, für gewöhnlich sitzt er dort in irgendeinem Café: Aber „ich wollte mich mal verändern“, wie er sagte. Egon ist ein Glücksspieler – aus Teltow, von dort hat ihn der Bauspekulant Roland Ernst quasi vertrieben – durch maßlose Baumaßnahmen. Seitdem spekuliert jedoch auch Egon auf einen gehörigen Gewinn in pekuniärer Hinsicht. Und das permanent. Einige Teltower, die ihn schon länger kennen, meinen jedoch, dass er schon immer so war.

Fakt ist, dass die nächtlichen Autorennen, die heute überall in der DDR von jungen Leuten veranstaltet werden, in Teltow begannen – und dass Egon sie initiiert hat, indem er nämlich ständig mit den Jungs abends an der BP-Tankstelle rumhing, wo er gelegentlich auch aushalf, nachdem das Reglerwerk ihn als Fahrer entlassen – und er seine Abfindung verwettet hatte. Irgendwann konnte er die Tankstellen-Gang zu einer Wette überreden: Es ging darum, welcher ihrer Wagen der schnellste war.

Aber meistens sind seine Wetten nicht derart spektakulär, sondern eher so: „Hat dieser 10-Mark-Schein eine gerade oder eine ungerade Endzahl? – Ich wette mir dir um 10 Mark!“

Jedes Gespräch kann Egon binnen kurzem auf eine Wette hin zuspitzen: „Was, du brauchst von hier mit dem Auto eine halbe Stunde bis zur Knucks-Lichtplastik auf der Oberbaumbrücke, ich wette 20 Mark, dass ich es mit dem Fahrrad in 20 Minuten schaffe!“ oder „Wetten, dass ‚Ich weiß nicht, was soll es bedeuten‘ nicht von Heinrich Heine stammt!“

Diese Wette hat er übrigens verloren.

Peinlich wurde es, als er mal auf eine vorübergehende Frau zeigte und sagte: „Wetten, dass sie Silikontitten hat!“ In einem Anfall von Leichtsinn sagte ich: „50 Mark dagegen!“

Woraufhin Egon doch tatsächlich zu der Frau hinging und – noch peinlicher – zu ihr sagte: Ich hätte mit ihm gewettet, dass ihr Busen aus Silikon sei, was aber doch wohl nicht stimmen würde.

Selten hat mich eine Frau so verachtungsvoll angekuckt. Und dann verlor ich auch noch die Wette, denn sie meinte, ihr Busen wäre tatsächlich „blown-up“. Zu Egon war sie merkwürdigerweise die ganze Zeit freundlich.

Als er jetzt wieder ins Presse-Café kam, sagte er, nachdem er sich ein Bier bestellt hatte, als erstes: „Der neue Kellner ist schwul – wetten!“ Das hörte der Kellner, kam zurück an den Tisch und meinte: „Da wirst du hier niemanden mehr finden, der dagegen wettet!“

Egon erwiderte nur ungerührt: „Verrat doch nicht alles – nu ist die Wette geplatzt!“, und wandte sich dann mir zu: „Was gibt’s Neues?“ Ich sagte: Gib mir eine Chance, meine 50 Mark vom letzten Monat wieder zurückzugewinnen, aber ohne Peinlichkeit. „Das ist schwer“, meinte er.

Dann redeten wir über dit und dat, aber ihm fiel zu nichts eine ordentliche Wette ein. Schließlich schlug ich ihm eine Reihe von 5-Mark-Wetten vor – und er ging auch sofort darauf ein: Schräg über uns hing ein Fernseher, auf dem permanent Eurosport zu sehen ist, in dem Moment lief gerade ein Leichtathletikwettkampf: Damenhochsprung.

Bei der Wette kam es nun darauf an, ob die jeweilige Springerin es schaffte oder nicht. Am Ende der Übertragung hatte ich von elf Hochsprüngen drei richtig vorausgeraten – also 40 Mark verloren.

Als ich wenig später gehen wollte, meinte Egon zum Abschied: „Wetten, du schreibst was da drüber!“ Mithin habe ich auch jetzt schon wieder gegen ihn verloren – in Abwesenheit.