wir lassen lauschen
: Vier Radiocollagen von Ror Wolf

„Drücken, Dieter, drücken!“

Die Radioreporter in den Stadien bestreiten seit Jahren ein Rückzugsgefecht. Mit dem Beginn dieser Saison hat der Kirch-Konzern als Inhaber der Fernsehrechte erneut eine Beschränkung der Sendezeit durchgedrückt, um Hörer für das Pay-TV abzuwerben. Das Verschwinden der realen Stimmen aus den Stadien geht einher mit ihrer künstlerischen Aufwertung: Die Radioreportage wird als Kulturprodukt anerkannt. Vergangenes Jahr kam die CD-Box „Fünf Jahrzehnte Fußball im Originalton“ heraus, unlängst erwies die junge elektronische Musikszene auf einer Compilation dem legendären Club-Reporter Günther Koch ihre Referenz.

Für den Frankfurter Autor Ror Wolf hat die Verknüpfung von Fußball, Radio und Hochkultur schon immer gegolten. „Das Triviale sollte mit den Mitteln der Literatur behandelt und somit ernst genommen werden. Etwa der Fußball“, hat er einmal begründet, warum in seinen Büchern und Hörspielen Fans, Trainer und vor allem Radioreporter auftauchen. Vier von Wolfs Fußball-Radio-Collagen aus den 70-er Jahren sind nun auf CD erschienen und einer Buchausgabe seiner übrigen Hörfunkarbeiten beigelegt.

Drei von ihnen – „Der Ball ist rund“, „Expertengespräche“ und „Heinz, wie ist Deine Ansicht?“ – liegen bereits in gedruckter Form in Wolfs Gesammelter Fußballprosa „Das nächste Spiel ist immer das schwerste“ vor. „Die Stücke sind freilich zum Hören bestimmt“, schrieb Wolf schon dort im Nachwort. Da er in seinen Fußball-Arbeiten fast ausschließlich selbst mitgeschnittene Originaltöne montiert, entwickeln die Hörfassungen ihren eigenen Reiz: Der Dialekt der Trainingskiebitze, die Stimmen von Jochen Hageleit, Kurt Brumme und selbst die des jungen Heribert Faßbender transportieren Erinnerungsreize, die auf der Buchstabenebene verloren gehen.

„Der Ball ist rund“ ist zusammengesetzt aus Hunderten von Reportagefetzen. Wolf hat die O-Töne zu einzelnen Themenblöcken geschnitten, die zugleich Vielfalt und Stereotypie der Reportersprache ausdrücken. „Der Ball wandert heraus. Der Ball streicht. Der Ball rollt. Der Ball klatscht. Der Ball rutscht. Der Ball wird noch einmal abgetropft“, hört man da, später sind einfach Torschreie aneinander gereiht: „Und Tor. Und Toor. Und Tor. Na sag ich’s doch, na sag ich’s doch.“

Die zweite Collage „Schwierigkeiten beim Umschalten“ dagegen ist kein Zitat aus der Taktikbesprechung von Volker Finke oder Ottmar Hitzfeld, sondern führt Pannen vor, die bei Konferenzschaltungen passieren können: technische Probleme („Die Kollegen sind noch nicht so weit“), kuriose Versprecher („Aber sein Tor geht am Schuss vorbei“) und Verwechslungen („Jetzt wieder mit Dürnberger, nein, es ist Hoeneß“).

Diesem dadaistischen Prinzip steht in den beiden übrigen Hörstücken ein dokumentarischer Ansatz gegenüber. „Expertengespräche“ und „Heinz ? Wie ist deine Ansicht?“ versammeln eine Handvoll Kiebitze, deren Kommentare in breitestem Hessisch („Als Verteidicher issern Kopp zu klaa“; „Das sin doch Krücke sin das da drüwe“) Wolf beim Training der Frankfurter Eintracht aufgenommen hat. Währenddessen schreit im Hintergrund der damalige Trainer Erich Ribbeck: „Drücken, Dieter, drücken!“

Doch taugt Ror Wolfs Fußball-Soundtrack der 70er-Jahre nicht als Verklärung der guten alten Zeit. Die akustischen Authentizitätsschnipsel wecken im Jahr 2001 keine Nostalgie, sondern sorgen eher für ethnologisches Befremden: weil es einst Hörfunkreporter gab, die zuhörende Autofahrer zu aufmerksamer Fahrweise ermahnten oder „allen Akteuren ein Bravo und Gratulation zu einem Fußballhöhepunkt“ aussprachen.

Und auch die moderne Verdrängung der Radioreporter aus den Stadien, des schnöden Mammons wegen, wird durch Wolfs Radio-Collagen keineswegs sinnstiftend gekontert. „Heute is Fußball ne Fabrik und kein Sport mehr“, meckerte nämlich schon vor über 20 Jahren einer der hessischen Experten, während sein Kompagnon zu einer allseits bekannten Spielerschelte anhub: „Die kriege zu viel Geld, das isses.“

MALTE OBERSCHELP

Ror Wolf: Vier Radio-Collagen. Enthalten in „Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nord-Amerika“, Verlag Schöffling & Co, 228 Seiten, 48 DM