Krummer Rücken kann entzücken

von REINHARD WOLFF

Ein Rausch. Seit Donnerstag sendet sich Norwegens Fernsehen warm. Und wenn die Feierlichkeiten heute Nacht mit mehreren Feuerwerken beendet sind, werden 60 Stunden über die Bildschirme geflimmert sein. Weltweit sollen 300 Millionen zugucken, um die deutschen Zuschauer zanken sich ARD (16.03 Uhr) und ZDF (16.00 Uhr).

Das norwegische Volk kann die Hochzeitsgesellschaft samt Prinz Charles und zehn ausgewählten Obdachlosen auch via Großleinwand auf dem Osloer Rathausplatz beobachten. Zur Vorbereitung können die Norweger zentimeterdicke Zeitungsbeilagen studieren. Und sich noch einmal fragen, ob es in Ordnung ist, dass der Kronprinz Haakon Mette-Marit Tjessem-Höiby zur Frau nimmt.

Prinz und Erdbeerpflückerin

Mette-Marit. Seit 1999 bekannt wurde, dass der Thronfolger eine Romanze mit ihr hat, haben die Medien ein Beweismittel nach dem anderen auf den Tisch gelegt. Plädoyer: Diese Frau darf nicht Königin werden. Dass Mette-Marit eine Bürgerliche ist, die schon als Kellnerin und Erdbeerpflückerin gejobt hat, wäre ja gerade noch durchgegangen. Aber ihre Vergangenheit in der für wilde Partys und Drogen bekannten Osloer House-Musik-Szene? Skandal!

Ein Skandal auch die Tatsache, dass der Kronprinz überhaupt ein Verhältnis mit einer alleinstehenden Mutter einging. Wobei der Vater ihres Kindes – absoluter Skandal! – auch noch mehrfach wegen Drogendelikten und Trunkenheit am Steuer verurteilt worden ist. Skandal im Quadrat: Noch vor der Verlobung zogen Haakon und Mette-Marit in eine gemeinsame Wohnung.

Da war es aus. Expertinnen und Experten der Mode-, Stil- und Anstandspolizei analysierten in Boulevardpresse und abendlichen Fernsehtalkshows jedes Detail. Der Rücken? Krumm. Der Gang? Zu unweiblich? Das Make-up? Unpassend. Die Hüte? Eine Katastrophe. Und dann der Name: „Mette-Marit hat absolut keine Tradition in der Geschichte des Königshauses. Keiner hat je so geheißen“, wetterte Finn-Erik Vinje, Professor für norwegische Sprachwissenschaft an der Universität Oslo: „Sie sollte sich Ragnhild, Astrid oder Ingrid nennen.“

Die Geschichte lief prima. Zehn Prozent Auflagensteigerung war für die größte Boulevardzeitung VG allemal drin, wenn sie wieder etwas Saftiges über die Zukünftige des Prinzen enthüllen konnte. So gut war die Geschichte vom schmuddeligen Aschenputtel, dass die seit Jahrzehnten ungebrochene Popularität des Königshauses einen Knacks bekam. Und das machte es für die Medien noch besser.

Eigentlich wollen die Norweger volksnahe Könige haben. Und unehelich auf die Welt kommt in Norwegen mittlerweile jedes zweite Kind, da ist Mette-Marits vierjähriger Sohn Marius eigentlich nichts Besonderes. Doch eine Prinzessin mit einem unehelichen Kind aus einer anderen Beziehung war zu viel. Der König hat zwar vorwiegend repräsentative Aufgaben. Aber dass er sehr wichtig werden kann, demonstrierte Haakon, Großvater des jetzigen Königs Harald, in seiner patriotischen Widerstandsrolle während der Besetzung des Landes durch die Truppen Nazideutschlands. Da muss Würde sein. „Die nächste Generation von Königen will nicht mehr königlich sein“, empörte sich ein Royalist in einem Internet-Forum.

In Umfragen kippte die Popularität des Königshauses auf rund 50 Prozent. Seit dem Zweiten Weltkrieg standen 95 bis 80 Prozent der NorwegerInnen unbeirrt hinter ihren Herrschern, die nichts zu sagen hatten. Jetzt wollte jedeR dritte NorwegerIn die Monarchen gar abschaffen. Die Regierung setzte eine Kommission ein, die sich Gedanken zu einer möglichen Verfassungsänderung machen soll. Eine „republikanische Initiative“ sammelt Unterschriften für eine Volksabstimmung, die spätestens 2005 stattfinden soll. Ihr Initiator Bernt Nilsen jubelt schon über die große Resonanz, die „sicher auch etwas damit zu tun hat, wie sich die Königskinder derzeit benehmen“.

Trotzig mit Ikea-Möbeln

Allein Mette-Marit kümmerte das alles zunächst überhaupt nicht. Trotzig stellten sie und ihr Bräutigam die künftige Wohnung mit Ikea-Möbeln voll, sie erzählte, wie wohl sie sich in Turnschuhen fühle. Prinz Haakon hielt zu ihr.

Und nicht nur er. In einem Interview erinnerte Königinmutter Sonja daran, wie sie, die ebenfalls nicht blaublütige Kaufmannstochter und der jetzige König Harald zehn Jahre darum kämpfen mussten, bis sie heiraten durften. „Ich erkenne viel von mir selbst in Mette-Marit wieder“, bekannte die 64-jährige Königin. Sie hoffe – schnief –, dass ihre Schwiegertochter nicht so unter dem „maskulinen und militärischen Milieu im Schloss“ leiden müsse wie sie selbst. Der Zeitpunkt, die Stimmung umzubiegen, war gut gewählt: Mittlerweile hatten Presse und Fernsehen sich ein wenig ausgemäkelt und warteten auf die große Versöhnungsstory.

Also machte das Paar Zugeständnisse: Einkauftour in New York, Ikea raus aus der Wohnung. Wenige Tage vor der Hochzeit war die Zeit reif, das große Bedauern zu inszenieren. In einem tränenreichen Interview entschuldigte sie sich bei den NorwegerInnen für ihre Vergangenheit. Prinz Haakon quitterte den Gefühlsausbruch mit einem ebenfalls tränenerstickten „Kein Wunder, dass ich sie liebe!“.

Eine nach dem Interview veranstaltete Blitzumfrage signalisierte prompt ein 70-prozentiges Ja auf die Frage, ob Mette-Marit Königinnenqualitäten habe oder nicht. Diese Geschichte ist genauso gut. Oder besser: die optimale Fortsetzung: „Vom Volk ins Herz geschlossen“, titelte VG. Und vollzog damit genau das, was in anderen europäischen Monarchien schon jahrelang Konsens ist. Wenn die Könige nichts zu sagen haben, darf nicht auch noch ihr Privatleben langweilig sein. Die Medien haben aus diesem Lernprozess die große Geschichte gemacht, die NorwegerInnen werden ihn erfolgreich durchmachen. Und die neue Prinzessin lieben.

Auf der Glückwunsch-Internetseite von VG ist die Begeisterung schon nachzulesen. Die Leserin Ellen aus Drammen hat dort ein feines, wenn auch ein wenig holpriges Gedicht veröffentlicht: „Ein Mädchen aus dem Volk, ein Prinz vom Blute – zusammen in die Geschichte sollen sie eingehn und schaffen etwas Gutes.“