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■ Tim Ingolds große Amerika-Serie, Teil IV: Ein Gespräch mit Julie, einer 1948er Indian Roadmaster

Amerika – unendliche Weiten, unendliche Abenteuer. Unser Autor hat sie alle erlebt, hat sie alle gesehen. Und umgekehrt. Invertierte Tiger, Mama am Handy und so. Lesen Sie heute, wie alles weiterging.

Julie wurde 1948 in Springfield, Massachusetts gebaut, kam aber bald darauf zu einem Motorradhändler nach Reno, Nevada. Zum Zeitpunkt des Gesprächs stand sie vor einem Schnellrestaurant in Boston, war also wieder in ihrem Heimatstaat gelandet. Über das, was ihr in der Zwischenzeit widerfuhr, sprach sie mit unserem Amerika-Korrespondenten Tim Ingold.

taz: Wie geht es Dir, Julie?

Julie: Es ging schon mal besser. Ich spüre langsam mein Alter. Die Blicke der Leute machen mir zu schaffen. Damals, als ich neu war, da haben sie mich angesehen, weil sie mich schön fanden. Heute starren sie nur noch, weil ich nicht mehr in diese Zeit passe.

Standest Du damals lange im Schaufenster?

Nein, nur ein paar Wochen. Mein erster Besitzer war Paul. Im Krieg war er Sergeant bei der Army, aber eigentlich war er Farmer. In Hazen, kennst du bestimmt nicht, ist ein Kaff in Nevada. Als er aus dem Krieg kam, hat er seiner Frau erstmal zwei Kinder gemacht. Drei Jahre später war er dann auf einer Landwirtschaftsmesse in Reno. Er ist mit dem Zug hingefahren, aber zurück kam er auf mir. Er ist in Hazen auf den Hof gefahren, und seine Frau hat mich schon von weitem gehört. Sie stand auf der Veranda und hat nur mit dem Kopf geschüttelt. Aber sie hat gelächelt. Und dann hat sie Paul geküßt.

Du hast Dich wohlgefühlt in Hazen?

Oh ja. Paul hat mich immer gut behandelt. Er hat oft mit mir gesprochen, wenn wir allein waren. Er hat auch den Soziussitz hinten draufgebaut. Manchmal ist seine Frau mitgefahren, nur ihm zuliebe, ich konnte spüren, daß sie Angst hatte. Am schönsten war es aber immer, wenn die Kinder mitgefahren sind, besonders der kleine Mike. Schon mit drei Jahren saß er das erste Mal auf mir drauf, er hat sich an seinem Dad festgeklammert und vor Vergnügen gekreischt, obwohl Paul immer nur ganz langsam gefahren ist. Das war schon eine schöne Jugend in Nevada, es war heiß und trocken, jahrelang hatte ich keine einzige Roststelle. Jetzt frißt mich der Bostoner Regen auf.

Hat Paul Dich verkauft?

Wo denkst Du hin? Mike wurde langsam erwachsen. Zu seinem 22. Geburtstag hat er mich bekommen. Einen Tag später hat er mir ein bißchen Gepäck draufgebunden und ist los nach San Fran. Die Sonne kam gerade raus, und die Straße war kalt und trocken. Er hatte das Gefühl, alles tun zu können, und ich hatte das gleiche Gefühl. Ich war 19, er 22, wir waren morgens ganz allein auf dem Highway und er hat vor Übermut in den Wind geschrien.

Das war der schönste Moment in meinem Leben. In San Fran hat er noch andere Biker getroffen und auch ein Mädchen, die saß von da an immer hinten drauf ... das letzte Mal habe ich ihn am Strand gesehen, etwas südlich von San Fran. Er hatte mich auf der Promenade geparkt und saß mit seinem Mädchen neben mir, und wir haben uns gemeinsam den Sonnenuntergang angesehen.

Die beiden haben sich einen Joint reingezogen und sind dann an den Strand gegangen, wollten da wohl übernachten. Früh am Morgen, es war noch dunkel, spüre ich plötzlich, wie ein fremder Kerl sich auf mich setzt. Er hat einen großen Schraubenzieher ins Zündschloß gesteckt, und es hat geknirscht, als er ihn umgedreht hat.

Naja, um es kurz zu machen: Ich wurde in einen Laster mit lauter geklauten Harleys drin verladen und als nach ein paar Tagen die Ladeklappe runterfiel, waren wir an der Ostküste, in Pennsylvania. Und damit fing meine schlimmste Zeit an.

Was ist passiert?

Gar nichts. Ich stand 15 Jahre lang in einem Schuppen. Ich hab einige Zeit gebraucht, bis ich kapiert habe, daß die mich einfach vergessen hatten. Die Harleys gingen reißend weg, aber 'ne alte Indian? Was ist denn das? Gibt's dafür Ersatzteile? Ich hab mich zu Tode gelangweilt. Aber jetzt bist du hier...

Nach 15 Jahren hat jemand das Land gekauft, auf dem der Schuppen stand, und der wollte ihn abreißen und da was hinbauen, irgendwas Großes. Zum Glück hat er vorher nochmal reingeguckt und mich gesehen. War das dein jetziger Besitzer?

Nein. Der Typ, dem der Schuppen gehörte, hat mich an einen seiner Investoren verschenkt, weil er nichts mit mir anzufangen wußte. Der hat sich zwar tierisch gefreut, hatte aber überhaupt keine Ahnung von Motorrädern, der hat mich mal schnell probeweise angeschmissen, ohne Ölwechsel, ohne Benzinwechsel.

...und das war der Typ, der da drin gerade an der Theke sitzt und sich nen Cheeseburger reinzieht?

Genau. Dieses Yuppie-Arschloch.

Warum?

Vor ein paar Tagen zum Beispiel haben wir eine Tour gemacht, ein bißchen vor den Eisdielen rumfahren, und zwischendrin hat's zu regnen angefangen. Meine Zündkabel und meine Kerzenstecker sind schon ganz morsch und porös, und als der Regen da durchdrang, fing ich halt an zu stottern und bin stehengeblieben. Scheißkarre, hat er gesagt und mich getreten. Dann hat er mich einfach im Regen stehengelassen und hat sich ein Taxi gerufen.

So ein dämlicher Sack. Hast du was dagegen, wenn ich Dich klaue? Nicht im Geringsten.

Moment, ich gehe mir mal eben einen Schraubenzieher besorgen... Beeil Dich, er hat seinen Cheeseburger gleich auf!