Pfade einer heißen Nacht

Rekord! Mehr als eine Viertelmillion Menschen machen einen auf Kultur und ziehen sich 100 Museen rein, die bei der „10. Langen Nacht der Museen“ offen hatten. Ein Reise durch das Herz der Finsternis

von PHILIPP GESSLER

Ausgerechnet die Bewag! Da überwindet man sich, die halbe Nacht nicht zu schlafen, um die „Die 10. Lange Nacht der Museen“ erleben zu können – und dann ist die erste Institution, die einen mit Faltblättern lockt, der öde Stromerzeuger: Anfangsattraktion im „Innovationspark“ der Bewag soll heute Nacht der „Opel HydroGen 1 – das Auto der Zukunft“ sein. Nein danke!

Obwohl so ein Auto gut käme. Die Busse und Bürgersteige sind voll, kaum zu glauben, dass sich all diese Leute wirklich für Kultur interessieren. Es geht zum „Centrum Judaicum“ zur „Jakob van Hoddis“-Ausstellung. Doch hier gleich die zweite Enttäuschung: Die Schlange der Wartenden ist allzu lang. Dann doch lieber zu „Caravaggio in Preußen“ am Lustgarten. Wieder ein Fußmarsch! Aber irgendwie ist das ja auch ein Erlebnis in dieser Hitze.

Im Alten Museum ist die Menschenschlange kurz – also hier herein! Was hat eigentlich Caravaggio mit Preußen zu tun? Eine römische Kardinalsfamilie hat den Maler im 17. Jahrhundert stark gefördert, viele Bilder von ihm in Auftrag gegeben und gekauft. Später hat Friedrich Wilhelm III. nach 1815 große Teile dieser Sammlung erstanden. Die wurden dann in Berlin gezeigt. Das ist der Zusammenhang. Nicht gerade zwingend.

In der Ausstellung muss man sich an Hunderten von Besuchern vorbeidrücken. Gerade mal fünf Caravaggios sind zu sehen. Der Rest sind andere Gemälder aus dieser Zeit, von Vorläufern, Epigonen und Gegnern des Meisters greller Lichtkontraste. Immerhin, ein Ensemble für alte Musik spielt vor den Ölschinken munter auf. Man läuft netten Kollegen über den Weg. Einer hat seine Kleinkinder dabei. Sie hängen völlig übermüdet und von der Hitze geschafft an ihm – offenbar noch keine Kulturfreaks. Spektakulär dann der Blick in den Lustgarten bei einem Glas Weißwein (6 Mark), auf den Stufen des Museums sitzend. Die Stimmung ist heiter. Die Schatten der Menschen heben sich vor der angestrahlten Fontäne ab. Das hat etwas Magisches.

Genug gerastet! Vielleicht ist ja jetzt die Schlange am Centrum Judaicum kürzer. Auf den Weg dorthin drückt einem wieder eine Hostess ein Faltblatt in die Hand – dieses Mal mit einem Kondom. Damit wirbt der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Doch wie soll man eigentlich das Präservativ nutzen? In einem dunklen Seitengang eines leeren Museums etwa? Die gibt es heute Abend nicht.

Das Warten vor der Neuen Synagoge dauert nicht zu lange, die Schlange ist tatsächlich kürzer geworden. Dafür ist sie im Treppenhaus des Hauptportals umso länger. Zettel raten den Wartenden für den Kuppelbesuch, sonntags wieder zu kommen, da gehe es schneller. Tatsächlich lohnt sich das Anstehen kaum: langweilig da oben. Sehr viel mehr als ein paar Lichter sieht man beim Blick aus den Fenstern nicht.

Dafür ist unten die „Jakob van Hoddis“-Ausstellung umso gelungener. Der expressionistische Literat war Teil der Boheme, landete recht jung im „Irrenhaus“ und hat mit seinem Malerfreund Ludwig Meidner stundenlange Spaziergänge durch Berlin gemacht, wie zu erfahren ist. Die halbe Nacht nicht schlafen, durchgeknallte Gedichte lesen, in wahnsinnige Gesichter schauen: Kultur kann aufregend sein. Aber jetzt ist es schon kurz vor zwei Uhr geworden – und der Schlaf zerrt an den Augenlidern. „all meine pfade rangen mit der nacht“, heißt die Ausstellung. Das passt.