Jung, dynamisch, chaotisch

Mit Shawn Bradley, dem längsten Spieler der NBA, aber ohne eingespieltes Team reist Basketball-Bundestrainer Henrik Dettmann nach zwei Testspielsiegen gegen Lettland zur EM in die Türkei

aus Münster THORSTEN SCHABELON

Für Basketball-Bundestrainer Henrik Dettmann scheint neuerdings auch die Chaostheorie ein probates Mittel zu sein, um seine Mannschaft auf die am Freitag beginnende Europameisterschaft in der Türkei vorzubereiten. „Manchmal sieht es aus wie Chaos“, räumte der Finne nach dem letzten EM-Test der Deutschen gegen Lettland ein und philosophierte vielsagend: „Muss man Chaos denn kontrollieren?“

In Münster war seine junge Mannschaft beim knappen 86:84 zumindest bis zum vierten Viertel noch äußerst unstrukturiert aufgetreten, was Henrik Dettmann auch gar nicht abstreiten wollte. Er hatte aber gleich mehrere Entschuldigungen parat. Zum einen war es die subtropische Hitze, mit der die Deutschen erst bei der Anfahrt im „Linienbus“ (Dettmann) ohne Klimaanlage und dann in der Halle zu kämpfen hatten. „Sechseinhalb Stunden Sauna“, hatte Henrik Dettmann gestoppt. Gegner Lettland, erst am Freitag in Bremen mit 85:76 unterlegen, hatte immerhin einen Bus mit Klimaanlage erwischt. Positiver Effekt des hitzigen Duells am Münsteraner Berg Fidel: In der Türkei erwarten beide Mannschaften vergleichbare Temperaturen.

Zum zweiten wies Henrik Dettmann auf die fragmentierte EM-Vorbereitung seiner Mannschaft hin. „Zusammen spielen, zusammen erfahren und Erfahrungen sammeln“, nannte Henrik Dettmann als Voraussetzungen für sportlichen Erfolg. „Und das haben wir nicht“, sagte der Bundestrainer. „Jeden Tag kommt ein neuer Spieler hinzu.“ Auf ganze vier gemeinsame Trainingseinheiten mit dem endgültigen EM-Kader kam der Finne beim spontanen Nachzählen.

Letzter prominenter Neuzugang ist der eingedeutschte NBA-Profi Shawn Bradley, für den Spielmacher Vladimir Bogojevic aus dem EM-Kader flog, weil der Weltverband Fiba nur einen naturalisierten Spieler zulässt. Der „weiße Riese“ soll als Defensivspezialist mit seinen 2,29 Metern unter dem deutschen Korb für Ordnung sorgen. Bei seinen ersten Auftritten gelang das noch nicht so recht. In zwei Länderspielen stand der längste deutsche Basketballspieler der Geschichte 31 Minuten auf dem Parkett, holte elf Punkte, sechs Rebounds, gab zwei Vorlagen und blockte einen ganzen Wurf.

Während dem 29-Jährigen nach gerade einer Trainingseinheit im Spielgeschehen noch sichtlich die Einbindung fehlte, flachste Countrymusic-Fan Bradley, der fleißig die Namen seiner Mitspieler gelernt hatte, zumindest beim Banksitzen hier und da mit diesen herum. Den Platz in der „Starting Five“ gibt es dafür allerdings nicht. Nach zuletzt guten Leistungen will Henrik Dettmann in der Türkei auf der Centerposition erst einmal Patrick Femerling gemeinsam mit Ademola Okulaja, Dirk Nowitzki und den beiden Alba-Berlin-Akteuren Mithat Demirel und Stefano Garris beginnen lassen. Auf der Bank warten neben Bradley die Spieler Stephen Arigbabu, Robert Garrett, Marvin Willoughby, Stipo Papic, Marko Pesic und Drazan Tomic auf ihren Einsatz.

Ob die Deutschen in ihrer starken Vorrundengruppe mit Estland, das am Freitag (DSF, 15.40 Uhr) in Antalya erster Gegner ist, Kroatien (Samstag, 15.40 Uhr, DSF) und Jugoslawien (Sonntag, 18 Uhr, DSF) mindestens ein Spiel gewinnen, sich danach im Endklassement unter den ersten Fünf platzieren und so für die WM 2001 in Indianapolis qualifizieren, hängt vor allem von Dirk Nowitzki ab. Dessen Antlitz nimmt nicht umsonst einen überdimensionalen Raum auf dem offiziellen Mannschaftsposter der deutschen Korbjäger ein. Der NBA-Star von den Dallas Mavericks erzielte in Münster nicht nur überragende 32 Punkte, sondern übernahm in den wichtigen Spielphasen immer wieder Verantwortung, forderte den Ball und wurde von seinen Teamkollegen auch in den Spielpausen für verbale Anweisungen gesucht. Wie Dirk Nowitzki in der Türkei mit einer auf ihn fixierten, physischen Spielweise der Gegner umgeht und seine Mannschaftskollegen mitziehen kann, davon hängt der Erfolg der deutschen Basketballer bei der EM ab. „Wir haben das Potenzial“, sagt Henrik Dettmann, weiß aber um die Probleme seiner Mannschaft bei physischen Spielen.

Die Deutschen fahren nach zuletzt zwei Siegen mit einer ausgeglichenen Bilanz aus zehn Testspielen in die Türkei. Ein gutes Omen. Doch noch Hoffnung im Chaos?