Brodeln unter der Oberfläche

Trotzig mit „Morrisson“ im Lichthof: Ein Gilla-Cremer-Porträt  ■ Von Annette Stiekele

Der Besucher ihres verwinkelten kleinen Stadthauses spürt sofort: Hier wohnt eine Weltenbummlerin. Gilla Cremer ist eine One-Woman-Show. Seit nunmehr vierzehn Jahren ist sie in Sachen Theater erfolgreich auf Solopfaden unterwegs. Sie produziert, schreibt und spielt alle Stücke selbst, die sie vorher gründlichst recherchiert. Eine Frau in mittleren Jahren, groß mit blonden Locken, der der Lebenshunger aus jeder Pore strömt.

Als junges Mädchen wollte sie Tänzerin werden, ging nach New York. Doch die Ernüchterung folgte für Cremer auf dem Fuße: „Es ging eher darum, wie oft man seinen Tanzlehrer vögelt.“ Dennoch stieß sie dort auf das, was sie wirklich interessierte: Körpertheater. Nach Aufenthalten in Bali und Workshops mit Eugenio Barba und dem Odin Teatret spielte Cremer eine Zeit lang in freien Gruppen in Frankfurt.

Dann brach ein Ereignis über sie herein, das ihr Leben entscheidend veränderte, sie wurde schwanger. Die Gruppe stand damit vor dem Aus. Doch Aufgeben kam für die Theaterfrau nicht infrage: „Dann mache ich eben alleine weiter“, sagte sie sich trotzig. 1987 erschien ihr erstes Solostück Odyssee Embryonale – ein Fötodram. Die Themen: Mutterschaft und moderne Fortpflanzungs- und Gentechnologie. Damit traf sie den Nerv der Zeit, wurde landauf, landab eingeladen und lebte jahrelang davon, ihren Sohn Jakob immer im Gepäck.

Bevor er zur Welt kam, wohnte sie in einer alten Feuerwehr in Frankfurt. „Das bedeutete für mich Lebensfreiheit.“ Dabei lacht sie ansteckend, und ihre Augen glitzern. Das unbürgerliche, wilde, manchmal auch entbehrungsreiche Leben war damals ganz im Sinne der Abenteurerin. Zweimal hat sie Hab und Gut verkauft und ging für längere Zeit allein auf Reisen.

1991, mittlerweile war auch ihre Tochter Lotta geboren, hatte ihr zweites Solostück Einmal lebt ich nach dem Roman von Natascha Wodin auf Kampnagel in Hamburg Premiere. „Für mich war die Soloarbeit die einzige Chance, mit zwei Kindern und dem Theater leben zu können“, erzählt sie nicht ohne Stolz. Sie hat das richtige Gespür für Stoffe, die in der Gesellschaft brodeln. Als sie 1995 nach zwei Jahren intensiver Vorrecherche Die Kommandeuse auf Kampnagel herausbrachte, wurde das Tabuthema „Frauen im Nationalsozialismus“ heiß diskutiert. Das Stück handelt von Ilse Koch, Ehefrau des Lagerkommandanten Karl Koch, und „Hexe von Buchenwald“. Man sagte ihr unvorstellbare Grausamkeiten nach. Nach dem Krieg erhielt sie dreimal lebenslänglich, später erhängte sie sich. Für die virtuose Darstellung dieser schwierigen Rolle erhielt Gilla Cremer viel Lob und überregionale Anerkennung.

„Mein Lieblingsthema sind Generationenfragen. Und vor allem meine eigene Generation, die 68er und ihr verzweifelter Versuch, sich von der Geschichte der Eltern abzugrenzen“, sagt die begeisterte Theaterfrau.

Das gilt auch für Vater hat Lager, das sie 1999 nach dem Roman von Carl Friedman im Thalia in der Kunsthalle zeigte. Ein Vater kann die Erlebnisse im Lager nicht vergessen und erzählt seinen Kindern Tag und Nacht davon. „Hier inte-ressierte mich nicht die Täter-, sondern die Opferseite“, sagt Gilla Cremer.

In Medea setzte sie sich 2000 in den Kammerspielen mit der Verlogenheit ihrer eigenen Generation auseinander: „Diejenigen, die damals die bürgerliche Familie ablehnten, stehen heute vor dem Traualtar oder leben in der tiefen Depression, den selbst produzierten Jugendwahn in der Gesellschaft auszulöffeln.“ Medea beschreibt das Leben einer Frau, die nach 19 Jahren Ehe von ihrem Mann für eine jüngere Frau verlassen wird. Obwohl sie im eleganten Schwarzen auftritt, das Glas Wein in der Hand, entgleitet ihr die Situation, sie endet im Heulkrampf. „Dies war eine sehr berührende und emotionale Rolle“, erinnert sich Cremer. Der Tisch aus der Produktion ziert mittlerweile ihren Garten. Bis unters Dach ist ihr Haus vollgestopft mit Requisiten und Kostümen: „Ich weiß sonst gar nicht, wohin mit dem Zeug. Es passt aber immer in meinen Kombi.“

Das Theater ist Gilla Cremers Lebenselixier, und wer sie trifft, begreift, dass es anders auch gar nicht sein könnte. Ihr Engagement wird seit Jahren durch die Kulturbehörde mit Förderungen honoriert. Alle ihre Stü-cke führt sie immer wieder auf, reist mit ihnen um die Welt.

Ab dem 28. August spielt sie wieder ihr wohl persönlichs-tes Stück, Morrison Hotel von 1997, im Lichthof-Theater am alten Gaswerk. Anlass ist ...darüber reden, die Kulturwoche Suizidalität, die der Förderkreis TZS e.V. und das Therapie-Zentrum für Suizidgefährdete vom 23. bis zum 30. August ausrichten.

Darin erzählt sie ihre eigene Geschichte als munteres Hippiekind, und die ihres fünf Jahre älteren Bruders, der als politisch aktiver Student aufbrach, um die Welt zu verändern, später an Schizophrenie erkrankte und sich das Leben nahm. Auch Jim Morrison, Sänger der Rockgruppe The Doors, lebte als politischer Mensch, verzehrte sich aber mehr und mehr in seiner exzessiven Künstlerexistenz und verstarb 1971 mit 27 Jahren. Gilla Cremer spielt die kleine Schwester, die sie war und changiert doch immer wieder zwischen den Rollen, ihrem Bruder Tom und Jim Morrison. Unermüdlich unterwegs auf Spurensuche in ihrer Generation und in ihrem eigenen Leben.

28.+29. August, 20 Uhr Lichthof-Theater