„Er hat ja keinem geschadet“

■ Mehrheit im Oldenburger Kulturausschuss für Ehrenbürgerschaft des in NS-Aktivitäten verwickelten Dichters August Hinrichs

Zum zweiten Mal beschäftigte sich der Oldenburger Kulturausschuss jetzt mit dem niederdeutschen Schriftsteller August Hinrichs – vor allem mit seinem Platz auf der Liste der Ehrenbürger. Die Oldenburger Linke Liste (OLLi)/PDS will den Sohn der Stadt streichen lassen. Einen Antrag der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) hatten SPD und CDU 1990 abgelehnt. Die Grünen hatten sich enthalten.

Ein erst vor kurzem aufgetauchtes Gedicht, das dem gelernten Tischler August Hinrichs (1879 - 1956) zugeschrieben wird, steht im Mittelpunkt des Antrags:

„Viele Helden gebiert ein Volk / und gräbt ihre Namen/zu langem Gedächtnis / mit ehernem Griffel / in steinerne Male / Zeichen und Namen zerfallen / die Namen verwehen / Unverlöschbar nur dauert, /wer seinen Namen / durch übermenschliche Tat / mitten hineinschrieb / ins lebendig aufglühende / Herz seines Volkes. Dort lebt er und leuchtet / Durch alle Zeiten.“

Hinrichs, ein auch heute noch gern gespielter Autor und Namensgeber niederdeutscher Bühnen, wurde 1944 von den Nazis zum Ehrenbürger der Stadt Oldenburg ernannt. 1935 übernahm er die Landesleitung der Reichsschrifttumskammer Weser-Ems, 1937 wurde er Mitglied der NSDAP. 1949 wurde Hinrichs in einem Entnazifizierungsverfahren von den Alliierten in die Kategorie V, das heißt als unbelastet ,eingestuft. 1954 erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

Da die eigentliche Hinrichs-Expertin Anke Finster verhindert war, hatte der Ausschuss Siegfried Lokatis vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam eingeladen. Für den „Zensurforscher“ Lokatis ist Hinrichs eine „außerordentlich interessante Person“. Zunächst wies er darauf hin, dass eine Ehrenbürgerwürde nicht posthum aberkannt werden könne, sie werde zu Lebzeiten vergeben und erlösche mit dem Tod. Im übrigen plädierte er dafür, „im Zweifelsfall für den Schriftsteller“ zu entscheiden. Aus dem Gedichttext gehe nicht deutlich hervor, dass er sich explizit auf Hitler beziehe. “Inhaltlich ist es eher national-konservativ“, erklärte Lokatis. Auch ist nicht klar, ob es wirklich aus dem Nachlass Hinrichs stammt.

Bereits im Vorfeld hatte der von Hinrichs mitgegründete niederdeutsche Verein „Ollnborger Kring“ einen Offenen Brief verfasst, in dem er Argumente zur Verteidigung des Literaten vorlegt. Der Vorsitzende Günther Osterloh besteht darauf, dass Hinrichs „kein Gesinnungs-Nazi war“. Er sei von Gauleiter Röver bedrängt worden, wegen seiner Popularität als Schriftsteller in die Partei einzutreten. Auch sein Amt als Leiter der Reichsschrifttumskammer habe er nicht freiwillig übernommen. Vielmehr habe er sich in vielen Fällen ausdrücklichen Anordnungen der Partei widersetzt. Vor allem aber habe er „keinem Menschen jemals Schaden“ zugefügt.

Die Antragsteller überzeugten diese Argumente nicht. Die Entlastungsargumente des Entnazifizierungsverfahrens seien einseitig. Für Reinhard Kühnrich von der Linken Liste war es eine „Tatsache“, dass Hinrichs das inkriminierte Gedicht als Auftragsarbeit verfasst habe. Er habe nicht etwa, wie andere Schriftsteller während der NS-Zeit, geschwiegen, sondern sich vielmehr „aktiv“ als Funktionär des Partei-Mittelbaus „betätigt“.

Die CDU verwies auf die Stasi-Vorwürfe gegen den brandenburgischen SPD-Ministerpräsidenten Stolpe, den PDS-Politiker Gregor Gysi und ehemalige NSDAP-Mitglieder in der SED. Angesichts dessen dürfe er nicht von der Ehrenbürgerliste gestrichen werden. Die SPD betonte, Hinrichs sei schließlich von Gegnern des Nazi-Regimes entnazifiziert worden.

Auf Antrag der CDU gab es eine Empfehlung für den Rat, den Antrag abzulehnen. Nur OLLi/PDS und Grüne sprachen sich dafür aus. Ein Sozialdemokrat enthielt sich der Stimme. Die Grünen erklärten ihren gegenüber 1990 veränderten Standpunkt damit, dass man an Ehrenbürgerschaften hohe moralische Ansprüche stellen müsse. Das Tornistergedicht transportiere eindeutig völkische Inhalte. Heute entscheidet der Rat über den Antrag.

Thomas Gebel